So war's: Am 15. September 1935 zeigt der Jüdische Kulturbund mit “Jaakobs Traum“ seine erste Vorstellung im Conventgarten

Hamburg. Heute vor 75 Jahren: Zur selben Zeit, als der auf Anordnung der NSDAP einberufene Reichstag die "Nürnberger Gesetze" beschließt, strömen in Hamburg die Menschen zur Kaiser-Wilhelm-Straße, wo sich vor dem Conventgarten eine Schlange gebildet hat. An diesem 15. September 1935, an dem die Diskriminierung und Verfolgung der Juden von den NS-Machthabern auf eine scheinjuristische Grundlage gestellt wird, findet in Hamburgs großem Konzert- und Veranstaltungshaus keine normale Theateraufführung statt, sondern die erste Vorstellung des Jüdischen Kulturbunds. Auf dem Programm steht das Drama "Jaakobs Traum" des österreichischen Dichters Richard Beer-Hofmann.

Nicht nur der Autor des Stücks, sondern auch Künstler und Publikum sind nach nationalsozialistischer Lesart Juden. Noch vor Kurzem waren die Schauspieler, die jetzt auf der Bühne des Conventgartens stehen, am Deutschen Schauspielhaus oder anderen Hamburger Theatern aufgetreten. Dort aber werden nur "Arier" engagiert. Jüdische Künstler dürfen nur noch vor jüdischem Publikum auftreten. Damit wollen die Nationalsozialisten die Juden aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben herausdrängen. Für sie soll es stattdessen - unter strenger Kontrolle der Behörden - ein eigenes "jüdisches" Kulturleben geben.

Denen, die davon betroffen sind, bleibt nichts anderes übrig, als sich dieser Gettoisierung zu beugen. Damit die nicht arischen Künstler noch Auftrittsmöglichkeiten und damit ein Einkommen haben, werden überall in Deutschland Jüdische Kulturbünde gegründet.

Schon im Mai 1933 hatte der Schauspieler und Regisseur Leopold Sachse, der bis 1931 Intendant und später Oberspielleiter des Hamburger Stadttheaters (seit 1934 Hamburgische Staatsoper) war, aber schon im März 1933 zwangspensioniert wurde, eine "Gemeinschaft jüdischer Künstler" mitgegründet. Das war ein direkter Vorläufer des Kulturbundes, der sich im August 1935 formiert - unter Leitung des Hamburger Juristen Rudolf Hermann Samson, eines glänzenden Organisators.

Dem Jüdischen Kulturbund gehören sowohl Künstler als auch Zuschauer an. Wer Mitglied wird, findet auf dem Anmeldeformular eine Rubrik, in der er beantworten soll, ob er bereit ist, auswärtige Künstler bei sich unterzubringen und zu beköstigen. Das ist notwendig, weil jüdische Künstler, die nach Hamburg reisen, nicht mehr in Hotels untergebracht werden können.

Die Auftaktveranstaltung am 15. September 1935 ist ein großer Erfolg. "Mehr darf man von einem Theaterabend nicht erwarten", schwärmt der Kritiker des "Deutsch-Israelitischen Gemeindeblattes". Die Vorstellung wird am folgenden Tag wiederholt, am 19. September folgt ein Violinabend mit Stefan Frenkel, am 26. ein Liederabend mit der Altistin Sabine Kalter, die zu den ganz großen Hamburger Opernstars dieser Zeit gehört.

Außer im Conventgarten organisierte der Jüdische Kulturbund auch Veranstaltungen im Curiohaus und im Tempel an der Oberstraße, dem heutigen Rolf-Liebermann-Studio. Im Januar 1938 zieht er schließlich in das Jüdische Gemeindehaus an der Hartungstraße, muss seine Tätigkeit aber ein Jahr später einstellen. Seit 1945 befinden sich im Haus an der Hartungstraße die Hamburger Kammerspiele.

Leopold Sachse verließ Deutschland 1935. Er ging in die USA, lebte in der Nähe von New York, wurde Oberspielleiter an der Metropolitan Opera und engagierte sich nach Kriegsende in bewundernswerter Weise für die im Krieg zerstörte Hamburger Oper: 1948 organisierte er eine große Hilfsaktion, um jenes Opernhaus zu unterstützen, in dem er selbst seit März 1933 nicht mehr hatte arbeiten dürfen.

An den Conventgarten, der 1943 dem Feuersturm zum Opfer fiel, erinnert heute nur noch eine Gedenktafel am Verlagshaus Axel Springer, das vor 60 Jahren am früheren Standort des Konzerthauses erbaut wurde.