Thomas Hettches Sorgerechtsroman “Die Liebe der Väter“ ist eine Kampfschrift. In ihrem Zentrum steht ein jämmerlicher Vater-Typ

Man dürfte im Verlag nicht allzu nervös gewesen sein, als das Bundesverfassungsgericht unlängst dafür sorgte, dass zukünftig beide Elternteile automatisch das Sorgerecht für ihr Kind bekommen. Eben darum sollte Thomas Hettches neuem Roman "Die Liebe der Väter" Aufmerksamkeit beschieden sein, handelt er doch von einem ziemlich verkniffenen Vater, der darunter leidet, in der Erziehung seiner von ihm getrennt lebenden Tochter aufs Schlimmste benachteiligt zu werden. Ganz egal, dass es diesen Vater so in Zukunft nicht mehr geben wird: Das Thema ist gerade auf der öffentlichen Agenda, und so wurde Hettches Buch ziemlich genau gelesen.

Was ungünstig ist für den 1964 geborenen und preisgekrönten Autor Hettche ("Der Fall Arbogast", "Woraus wir gemacht sind"), der durchaus schon bessere Bücher als "Die Liebe der Väter" geschrieben hat. Es handelt vom Hass und der Ohnmacht eines Vaters, der ein paar Tage mit seiner Tochter auf Sylt verbringt. Aber sie genießen den Ausflug nicht, er missrät Vater und Kind zu einem fatalen Psycho-Erlebnis. Und die Geschichte dem Autor, trotz gegenteiliger Beteuerungen, zum Sorgerechtsroman. Mit den zu erwartenden Folgen: Die einen fühlen sich bestätigt und loben die getreuliche Schilderung dessen, was schiefläuft in den Patchworkfamilien, weil Papa arm dran ist. Die anderen werfen Hettche eine unsympathische Parteilichkeit vor, was wiederum andere dazu veranlasst, gerade das zu loben: Endlich einmal ist der Mann das Opfer.

Die Dialoge sind hölzern, die Hauptfigur ein jämmerlicher Typ

Vernichten muss man Hettches neues Buch nicht, er ist ein souveräner Erzähler, der sicher Dramaturgie und Plotentfaltung beherrscht, aber leider den Fehler begeht, das Thema der Vaterschaft zum alles überwölbenden Motiv zu machen. Wäre der traurige Vater, der mit einer (scheinbar) völlig überspannten und schwierigen Mutter ein mittlerweile 13-jähriges Kind hat, nur eine Figur in einem großen Gesellschaftsroman, dann erschiene er unter Umständen als literarisierte Spiegelung eines realen Vorbilds. Sie wäre eingebettet in einen größeren Handlungszusammenhang, und ganz bestimmt würde auch die Frau zu Wort kommen.

So aber erscheint "Die Liebe der Väter" als Kampfschrift, in der ein dazu noch jämmerlicher Vater-Typ vorgeschickt wird, die Sache der Väter auszufechten. Das wirkt vor allem in den Dialogen hölzern, wenn Vater Peter, ein Buchvertreter (auch da eher ein melancholischer Typ: das heilige Gut Buch widerfährt in seiner Behandlung durch große Ketten natürlich auch Unrecht), den Freunden beim Wein erst einmal erklären muss, wie denn die rechtliche Lage ist (war!). Die von den Vaterproblemen zunehmend genervten Familienmenschen kennen die Mutter und ehemalige Lebenspartnerin Peters, mit der jede Termin- und Erziehungsfrage zur Machtfrage wird, natürlich nicht, und so wirkt die Schilderung des gequälten Vaters kolportagehaft, die Fixierung auf seine Malaise zu einseitig.

Allein der Gedanke an die frühen Sommer auf Sylt bietet Trost

Immerzu "sagt" in diesem Buch irgendjemand irgendetwas etwas "leise" - in genau dieser Formulierung. Sie sind sehr betroffen, diese Anfangsvierziger, und der leidende Mann trägt schwer an seinem Schicksal. Und das, obwohl sie auf der wunderhübschen Insel Sylt sind. Hochsymbolisch ist allerdings dort Winter, wo auch die Beziehung zwischen Peter und pubertierender Tochter zeitweise einfriert: Es kommt zum großen Knall, als Peter erfährt, dass seine Tochter, die in Hamburg lebt, die Schule wechseln soll, ohne dass das mit ihm abgesprochen war.

Er hat ihn kennengelernt, den Hass des Unbeteiligten, der weit weg von seiner Tochter lebt und den Entscheidungen der verantwortungslosen Mutter machtlos gegenübersteht. Hettche meint es mit seiner Figur nicht gut: Natürlich kommt es nicht zur sexuellen Eroberung der Jugendfreundin, wenigstens das hätte man ihm gewünscht, dem guten Peter, der alles richtig machen will und alles falsch macht.

Ein mächtiger Sturm kommt auf auf Sylt (immer wieder gern genommen: die Symbolik der Naturgewalten), und Thomas Hettche macht Peter zum Sprachrohr der Opfer von Staats wegen, er schreit an gegen die Rabenmütter dieser Welt und gegen andere Ungerechtigkeiten.

Es gibt nur einen Trost: den Gedanken an die frühen Sommer auf Sylt, als die Mutter, das Prachtexemplar einer Mutter!, dort Bücher verkaufte. Es war eine heile Welt mit Sonne und Strand, auch wenn der Vater abwesend war. Eine Welt, in der Bücher noch einen anderen Stellenwert hatten, "jetzt stehlen sie sich langsam weg aus unserer Welt", klagt der Erzähler. Er ist auch ein (natürlich zu larmoyanter) Verteidiger des Kulturguts Buch.