Ob Auftragskompositionen oder Ausstellungen: Die Auftragslage für Avantgardekünstler Felix Kubin ist bestens - außerhalb Hamburgs.

Hamburg. "Mmhh ..." Auf die Frage, wann er das letzte Mal von einem Hamburger Kunsthaus eingeladen worden ist, muss Felix Kubin lange nachdenken. Er rückt seine schmal geschnittene Kaki-Kluft zurecht. Der Anzug erinnert an eine Uniform, doch die Haare, die oben schwarz und unten weiß gefärbt sind, konterkarieren das Militärische. Wie ein Fantasiesoldat sitzt der Künstler im "Bistro Schampus" des Hotels Reichshof an der Kirchenallee. Zum Interviewtermin hat er dieses Ambiente gewählt, "weil es ruhig genug ist für einen Mitschnitt". Wer Klangkünstler ist, der denkt das Akustische stets mit.

"Ende der 90er war ich mal einen Abend im Kunstverein", erzählt Kubin schließlich. Hinzu kamen einige Auftritte auf Kampnagel mit Trickfilmerin Mariola Brillowska. Und mit dem Ensemble Intégrales für Neue Musik existiert zumindest eine kleine Hamburger Institution, die sein Wirken in regelmäßiger Zusammenarbeit zu würdigen weiß. Ansonsten ist Kubins Kaum-Präsenz in Hamburg bedauerlich. Missachtet die Stadt doch ein avantgardistisches Universalgenie, das vom Hörspiel über Performance bis zum Animationsfilm mit stets hohem Verstörungspotenzial durch die Disziplinen rauscht.

Der 41-Jährige ist ein Jongleur der Diversität: Elektro-Anarchist, futuristischer Popper, Sprachspieler, Meister der Mimikry und Dandy unter den Verschrobenen. Und zudem ist Kubin ein klassischer unterschätzter Prophet in der eigenen Stadt. In Rage bringt ihn die Ignoranz nicht. Dafür ist die Auftragslage von Frankfurt bis Halifax zu üppig.

Das Museum für Moderne Kunst in Barcelona beauftragte Kubin mit einer Serie zu Underground-Musik in Osteuropa, für einen "MacBeth" in Danzig und die kommende Inszenierung von Schorsch Kamerun am Schauspiel Köln komponiert er Musik, auf seinem Label Gagarin Records veröffentlicht er Material von Max Goldt und historische Aufnahmen früher Klangerzeugung, für WDR und Deutschlandradio produziert er Hörspiele. Beim NDR ist noch kein einziges solcher Stücke gelaufen. "Radio ist so wahnsinnig wichtig. Ich verstehe nicht, warum der NDR in Hamburg so ein schlappes Programm macht", sagt Kubin.

Hamburg mit seinem konservativen kulturellen Klima muss sich also nicht wundern, wenn Kubin, wie jüngst in der Titelgeschichte des renommierten "Wire"-Magazins, ausführlich den Begriff des Pfeffersacks erläutert, statt die künstlerischen Impulse seiner Heimat zu loben. Warum in die Nähe schweifen, wenn das Gute liegt so fern.

"In Hamburg heißt es oft: Ach, du mit deinen anstrengenden Sachen. Woanders habe ich gemerkt, dass das nicht sofort in die Schwierige-Kunst-Ecke gequetscht wird, sondern eine Frage der Hörgewohnheit ist." Und diese feingeistige Wahrnehmung hat er schon in jungen Jahren kultiviert. Als Kind lauschte er begeistert Hörspielen. "Die Märchenstücke waren nicht so politisch korrekt, wie es jetzt der Fall ist, sondern hatten sehr düstere Charaktere, eine unglaublich realistische Aura und sehr gute Schauspieler", erinnert sich Kubin. Dass das Drastische, Absurde der 70er immer mehr in Richtung Benjamin Blümchen verweichlichte, bedauert er.

Die Initialzündung, selbst experimentelle Hörspiele zu produzieren, war für ihn der akustische Essay "Das Ohrenlicht" von Ronald Steckel. Auch wenn Kubin die Querbezüge, etwa zu Wittgenstein, damals als 15-Jähriger nicht begriff, habe er sich das Stück immer wieder anhören müssen. "Das ist wie ein Virus." Ein Fieber. Kubin glaubt fest daran, dass "seltsame Begegnungen mit kulturellen Eruptionen, die man nicht sofort versteht, im positiven Sinne verheerende Wirkung haben können."

Wer bereits die Pubertät mit sperrigem Hörgut verbringt, gilt gemeinhin als Sonderling. Für Kubin war das selbstverständlich. "Sehr prägnant für alles, was ich in meiner Jugend gemacht habe, ist, dass ich wenig bis gar keine Auseinandersetzung mit Leuten in meinem Alter hatte." Einzig seine Teenager-Band "Die Egozentrischen 2" betrieb er mit einem Freund. Doch spätestens als das Duo von Alfred Hilsberg entdeckt worden war, spielten sie für ein erwachsenes Bohème-Publikum.

Für Kubin war es stets von Bedeutung, Text und Sound "zu durchdringen". Geprägt haben ihn so unterschiedliche Einflüsse wie "Das kleine Fernsehspiel" oder die existenzialistischen Verse von DAF, die in den 80ern quasi die intellektuelle Kehrseite zur Neuen Deutschen Welle bildeten: "Ich und ich in der echten Welt./Ich und ich./Ich fühle mich so seltsam."

Wer sich mit Kubin unterhält, der in gewisser Weise alterslos wirkt mit seinem schlanken Gesicht und den irisierenden blauen Augen, merkt schnell, dass er sich bis zur Verästelung auskennt in Genres von Neuer Musik bis zu Instrumentenkunde. Er selbst spielt nach wie vor auf dem Korg-MS20-Synthesizer und dem Drum-Computer, die ihm sein Vater einst geschenkt hat. Erste Aufnahmen machte er zu Hause in seinem Zimmer mit dem Kassettenrekorder. Mittlerweile zeichnet Kubin Ideen unterwegs mit dem Handy auf.

Was sich in den Jahren obsessiver Tonkunst nicht geändert hat, ist die Art, wie Kubin von Projekt zu Projekt mäandert. Sei es Ende der 80er die Formation Klangkrieg, in der er lärmend klassische Songstrukturen verließ. Oder die fingierte Kommunistische Einheitspartei Deutschland, mit der er DDR-Propagandalieder intonierte, um "dem Triumphgeschrei des Westens nach dem Mauerfall etwas entgegenzusetzen". Auch wenn Kubin seine radiophone Kunst nicht als konkret politisch begreift, entwickelt er doch Gegen-, Neben- und Unterwelten, um die Realität zu unterwandern und zu überflügeln.

Ob er nun Lionel Richies Hit "Hello" in ein paranoides Stück Pop ummünzt oder durch den Videoclip "Hotel Supernova" umherwandelt wie ein Klon aus Louis de Funès, Frankenstein und David Bowie - letztlich möchte Kubin aufrütteln und dem täglichen Gedudel des Medienzeitalters kontrovers dazwischenfunken. Subversiv. Auch schockierend. Stets mit dem Credo, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Außer von der eigenen Kunst. "Ich würde mir wünschen, dass es möglich wäre, sich selbst in 3D in mehrere Personen aufzuspalten", sagt Kubin. "Die einzelnen Felixe könnten sich dann in verschiedene Bereiche vertiefen." Hoffentlich bleibt dann auch einer in Hamburg.