Michael Kleeberg erzählt von einer Schicksalsbegegnung in Paris

Dass Michael Kleeberg die Langstrecke beherrscht, hat er 2007 mit seinem großartigen, ziegelsteindicken Roman "Karlmann" über die kleinen Wehwehchen und großen Selbsttäuschungen des Durchschnittsmanns Charly Renn bewiesen. Sein neues Buch, "Das amerikanische Hospital", nimmt den knappen Raum von rund 200 Seiten ein - und schafft es auf dieser Strecke doch mühelos, die jeweilige Lebenskrise zweier Figuren anhand plastischer, detailgenauer Beschreibungen in den Fokus zu rücken. Und was noch viel wichtiger ist: den Leser mitfiebern zu lassen mit diesen Figuren, deren Begegnung so zwingend erscheint, dass sie im Leben vielleicht niemals zustande gekommen wäre, sondern nur in besonders geschickt konstruierten Romanen.

Da ist auf der einen Seite Hélène, die sich so sehr ein Kind wünscht, aber nicht schwanger wird. Und da ist der Soldat David Cote, der aus der Operation "Desert Storm", dem Golfkrieg des Jahres 1991 also, mit einem Kriegstrauma zurückkehrte. In der Empfangshalle des amerikanischen Hospitals in Paris laufen sie sich buchstäblich in die Arme - und was daraus entwächst, mit jeder Begegnung mehr, ist eine zarte, wenngleich rein platonische Liebesgeschichte zwischen zwei Versehrten.

Kleeberg ist ein bis auf die dritte Stelle hinterm Komma genauer Autor, der akribische Recherche betreibt für seine Bücher. In allen Einzelheiten schildert er Hélènes aufwendige Untersuchungen: das Erstellen der Blutbilder, Hormonanalysen, Spermiogramme, die eine Aussicht auf Erfolg in immer weitere Ferne rücken lassen. Auch bei Cotes unglücklichem Zustand handelt es sich um kein mit drei Pillen aus der Welt zu schaffendes Leid. Der Spross einer Soldatenfamilie leidet an einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung, hervorgerufen durch Erlebnisse während seines Einsatzes. Wie er auf ein Dutzend Jungs trifft, denen die Achillessehnen durchgeschnitten wurden, damit sie nicht fliehen können; wie toten Soldaten in verkohlter Uniform die Münder offen stehen, als würden sie lachen - diese Erinnerungen beschreibt Kleeberg mit einer Anschaulichkeit, die ihresgleichen sucht.

Die Krankenhausbesuche beginnen, das Leben der beiden zu strukturieren. Oberflächlich betrachtet kerngesund, haben sie das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Halt, Trost auch, finden sie beieinander. Immer dann, wenn Hélène schon wieder eine Fehlgeburt erlitten hat und sich mantragleich einzureden versucht: Es war nur ein Zellklumpen, kein Baby! Oder wenn Cote der Blick für die Realität verschwimmt und Hélène ihm ihre Lieblingsplätze in der Stadt zeigt, "als sei er blind und brauche ihre Beschreibungen als Ersatz für sein Augenlicht".

"Das amerikanische Hospital" ist die Geschichte eines Abschieds: von einer Vergangenheit, einem Lebenstraum und der Vorstellung dessen, was "normal" scheint. Wo könnte man davon eindringlicher erzählen als an einem schicksalsträchtigen Ort wie dem Krankenhaus. Und wer könnte das poetischer als Michael Kleeberg.

Michael Kleeberg Das amerikanische Hospital. Deutsche Verlags-Anstalt, 240 Seiten, 19,99 Euro. Kleeberg liest am 14.9., 21 Uhr, auf der "Cap San Diego". Tickets für 12,- unter T. 30 30 98 98