Das NDR Sinfonieorchester spielte Mahler und Sibelius in Lübeck

Lübeck. Der letzte Teil von Sibelius' Siebter Sinfonie ist denkbar kurz: Nach knapp zwei Minuten ist im Anschluss an ein Crescendo - gänzlich unvermittelt - alles wieder vorbei. Es ist so, als würde der Hörer, nachdem er ziellos durch die finnische Taiga geführt wurde, urplötzlich auf etwas Interessantes stoßen, das ebenso rasch seinem Blick wieder entzogen wird. Dieses Ende-Neubeginn-Motiv funktionierte am Sonnabend beim Konzert des NDR Sinfonieorchesters in der Lübecker Musik- und Kongresshalle gleich auf mehreren Ebenen.

Der Abend war der Abschluss des Schleswig-Holstein Musikfestivals und zugleich der Start zum "Mahler in Hamburg"-Zyklus. Neben Sibelius' Siebter Sinfonie spielten die NDR-Sinfoniker auch Mahlers "Lied von der Erde", das ebenfalls mit einem offenen Ende aufwartet.

Theodor W. Adorno hatte Sibelius 1938 eine "Originalität der Hilflosigkeit" attestiert. Der finnische Komponist fand nach Ansicht des Philosophen nicht in den sinfonischen Vollzug hinein. Mahler dagegen fand nicht aus ihm heraus. Von Schicksalsschlägen und Todesahnungen wegen eines bei ihm entdeckten Herzklappenfehlers geplagt, wollte Mahler 1907 einen offenen Liedzyklus schreiben. Heraus kam aber eine Art formaler Sinfonie. Es wäre seine Neunte gewesen. Doch auf diese Bezeichnung verzichtete Mahler ganz bewusst: Beethovens Neunte war zugleich dessen letzte Sinfonie. Nur drei Jahre nach ihrer Uraufführung starb er.

Ganz im Trend der damals asiatisch inspirierten Zeit, führte Mahler pentatonische Tonleitern und nachempfundene fernöstliche Texte mit Austro-Ländlertum und -Leutseligkeit zusammen; eine spannende Kombination, die Alan Gilbert, der 1. Gastdirigent des NDR Orchesters, auch transparent machte. Das Dirigat des jungen Chefs der New Yorker Philharmoniker ist tänzerisch, seine Einsätze sind klar, die Ausführung eher straff als elastisch, eher verbindlich als persönlich. Nicht einmal im langen letzten Satz, wo sich die tiefen Instrumente gegenseitig anknurrten, die hohen jammernd litten, Bariton Thomas Hampson im Weltschmerz schwelgte und verging, wo Wagner-Tenor Peter Seiffert zuvor verglühend in die Vollen gegangen war, wollte Gilbert diesen klingenden Abschied auf leisen Sohlen kommentieren.

Mahler starb übrigens 1911 - nicht an dem inzwischen korrigierten Herzklappenfehler, sondern an einer bakteriellen Infektion.

Das Programm ist erneut heute um 20 Uhr in der Laeiszhalle zu hören.