Erst ist da nur ihr Ruf. Er eilt zwanzig Kilometer über Wasser und Land. Ein lang gezogener Kammerton A, so tief, dass ein Gänsehautschauer wie Gischt die Arme herabperlt. Nun schält sich ihr Gesicht aus dem Frühnebel, gewebt aus kantiger Anmut und dem Wissen, dass die Welt gewaltiger ist, als wir denken. Still und groß tanzt sie vorbei, von geschmeidiger Kraft getrieben. Sie kennt nur eine Richtung: dahin, wo das Fernweh ankommt. Überall. Nirgends.

Dann ist sie bei uns, die Königin der Ozeane, die Hamburg schon als "ihre" betrachtet: "Queen Mary II". Sie kommt, um unsere Träume abzuholen.

Die Träume vom Aufbrechen, vom Hinter-sich-Lassen, alles, was fesselt und drängt und den Willen betäubt. Sehnsüchte von Unerreichbarkeit und einem Leben voller Anfänge. Jede Reise mit dem "wirklichen" Selbst als Ziel. Vielleicht lieben wir dieses Schiff deshalb mehr als alle anderen, rollen uns für Mary im Frühtau aus dem Bett, reißen die Arme winkend in die Luft, als ließen wir die Geliebte ziehen: Weil die Prachtblaue uns Fernweh bringt, das süßeste aller Leiden. Unheilbar, eine seidige Kante in der Seele, scharf genug, um sich selbst zu spüren, weich genug, um es reuelos zu genießen. Anheuern und los, übers Wasser gehen! Los, weit weg, zur Erlösung, da hinten, hinter dem Horizont, von was erlösen, weiß niemand genau, und will es dennoch suchen. Dann fährt sie vorbei, wir schauen, und sehnen und weinen, "es ist nur der Wind", eine verzeihliche Lüge.

Am Abend des 26. August wird Mary uns das letzte Mal in diesem Jahr verlassen. Zurück darf ein Seemann niemals schauen, und auch Ihre Majestät sieht nie zurück. Nur nach vorne, dort, wo das Meer ist, und das namenlose Fernwehland.

Das Museum zur Sehnsucht nach Ferne und Meer Internationales Maritimes Museum Hamburg (MetroBus 3, 4, 6), Kaispeicher B, Koreastraße 1, Di/Mi, Fr-So 10.00-18.00, Do 10.00-20.00; Informationen im Internet: www.internationales-maritimes-museum.de