Der Musiker Blixa Bargeld und der Komponist Alva Noto präsentieren den experimentellen Klangkosmos ihres Projekts “anbb“ heute auf Kampnagel.

Kampnagel. "Wo bleibt denn Herr A N?" Blixa Bargeld tapert von der Küchennische ins Studio. Berliner Rohbau. Hohe Decken. Provisorischer Charme. Im Vorderhaus bietet die Galerie Eigen + Art renommierte deutsche Kunst feil, etwa von Neo Rauch. Und von besagtem "A N". Gemeint ist der Künstler und Komponist Alva Noto alias Carsten Nicolai, Kompagnon des Projektes anbb, das am heutigen Montag seinen experimentellen Klangkosmos auf Kampnagel präsentiert.

"Ah, das darf nicht kochen!", ruft "Herr B B", also Blixa Bargeld, und hastet zum Wasserkocher. Wer Teile des Jahres in Asien lebt, weiß, wie grüner Tee zuzubereiten ist. Das Heißgetränk serviert er in zarten Schälchen. Beim Warten auf "Herr A N" lässt es sich vortrefflich betrachten, dieses lebensstark zerfurchte Gesicht. Drei Jahrzehnte mit seiner Band Einstürzende Neubauten und fast zwei als Gitarrist von Nick Cave and The Bad Seeds haben reichlich Rock-'n'-Roll-Spuren bei dem 51-Jährigen hinterlassen. Als "Herr A N", Jahrgang 1965, schließlich eintrifft und beide auf einem schmalen Ledersofa Platz nehmen, wirkt Notos Gesicht im Vergleich so aufgeräumt wie bei Muttern.

Seit 2007 arbeiten Bargeld und Noto, gegenseitige Bewunderer ihrer Künste, zusammen. Während Bargeld auch als Autor und Schauspieler in der Öffentlichkeit präsent ist, ist Nicolai eher in Kunstkreisen bekannt. Seine visuellen und akustischen Installationen hat er vom Frankfurter Städel bis zum New Yorker P.S.1 ausgestellt.

Kulturelle Globetrotter, die beide sind, trafen sie sich zu ihrer ersten "improvisierten Performance" in einem Tonstudio in San Francisco, neben Peking und Berlin einer der Wohnorte Bargelds. "Wir haben viele Möglichkeiten ausgelotet. Weniger theoretisch als praktisch", erzählt Bargeld mit markanter Polter(geist)stimme. Beim Livespiel hätten sie dann "eine gemeinsame Form gefunden, wie man arbeitet". Und das Ergebnis, das im September auf dem Album "Mimikry" ertönt, ist eine spannende Collage aus fiebrigen Elektronika, Geräuschekunst, Hörspiel und Gesang, die das Gegenüber in steter Unsicherheit wiegt, potenziert durch Bargelds eindringliche Stimme.

Die Klang-Text-Kompositionen von anbb mögen im anregenden Sinne anstrengend sein, verkopft sind sie nicht. Auch wenn einzelnen Stücken eine langfristige Vorarbeit vorangegangen ist. Denn sowohl Bargeld als auch Noto sind zwei Kultur-Aficionados, zwei Themen-Junkies. Einmal angefixt, jagt die Wissbegierde durchs System. Etwa für das Stück "Mimikry", für das die Recherche "bei Google anfing und in der Universitätsbibliothek endete", wie Bargeld erzählt. "Obwohl man das dem Track nicht unbedingt anmerkt." Und Noto ergänzt: "Der Wissenschaftsbezug ist eher im Untergrund passiert." Auch wenn dem Hörer in der Musik nicht fortwährend Formeln und Theoreme anspringen, dieses intellektuelle Brodeln, es ist spürbar in den Nummern.

Wenn Bargeld den Schaffensprozess schildert, klingt das mathematisch: "Man muss ja erst mal von A nach B kommen. Und der Weg dahin ist einfach eine Sequenz von Problemlösungen." Das passt. Denn vor allem Nicolais Arbeiten bewegen sich im Grenzgebiet zwischen Kunst und Wissenschaft.

"Blixa und ich haben beide großes Interesse an wissenschaftlichen Dingen, vor allem, wenn sie ins Philosophische führen oder Paradoxe erzeugen", erläutert Noto, dessen sächsischer Geburtsort Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) noch deutlich hörbar ist. Fasziniert sind sie etwa von dem quantenmechanischen Gedankenexperiment Schrödingers Katze aus dem Jahr 1935, das eingeflossen ist in "Electricity Is Fiction". Ein knisternder Track, der über Kopfhörer klingt, als würde er direkt im Hirn Strom erzeugen. Der Versuch des Physikers Erwin Schrödinger manifestiert sich im Song vor allem in dem Satz "Do electrons think?" "Das ist Schrödinger!", sagt Noto. Und Bargeld fällt ein: "Er ist es nicht. Ich bin es. Aber ich spreche ihn nach."

Letztlich ist Bargeld ein Impulsmensch. Einer, der darauf hört, was in ihm arbeitet. So entstanden auch die zwei Coverversionen des Albums zu "One" von Harry Nilsson sowie dem amerikanischen Traditional "I Wish I Was A Mole In The Ground". "Das sind Lieder, die zu irgendeinem Zeitpunkt in meinem System gelandet sind und rausmussten", sagt Bargeld. Wenn die Idee dann Gestalt angenommen habe, könne er sie loswerden. Eine Befreiung. Im Falle des Popsongs "One", das nun eine berückend minimalistische Note erhält, hatte er den Eindruck, dass die Grundidee, "der elektronische Puls, dieses Bing-bing-bing-bing", schon vorgegeben war und sich daher für die akustische (Parallel-)Welt von anbb eignete.

Und diese Welt, sie ist nicht festgelegt, was auch das Konzert auf Kampnagel zeigen soll. "Ich würde nicht sagen, dass die Tracks fertig sind. Das sind Aufnahmen von Möglichkeiten, wie sie sein könnten. Es ist immer noch so offen, dass man von einer Interpretation reden kann", sagt Bargeld.

Die Nummer "Fall" zum Beispiel hat anbb zunächst mit italienischem Text aufgeführt. Die einst 20 Minuten lange Version wurde dann für die Platte "zurechtgestutzt" und erklingt nun mit deutschem Text. Der Anfang des Tracks klingt, als schreie ein Teekessel, während Fingernägel zu Geigendissonanzen über eine Tafel kratzen. Schließlich erfolgt ein Bruch hin zu einer fast kammerspielartigen Lesung. Ein Satz darin lautet: "Mit dem Loslassen hat es begonnen." Und mit einem Handschlag endet es, das Gespräch in Berlin.

Der grüne Tee ist getrunken. Und "Herr A N", der muss los.

anbb: heute, 21.00, Kampnagel (Bus 172, 173) Jarrestr. 22, Eintritt: 24,50 Ak., www.kampnagel.de