Trotz Dauerregens begeisterte Sänger und Pianist Jamie Cullum seine Fans im Stadtpark

Hamburg. Jazzmusiker sind gewohnt, schnell zu reagieren, weil sie die Kunst der Improvisation beherrschen. Da ist es ein Leichtes für Jamie Cullum, sein Programm blitzartig zu ändern und den Musical-Klassiker "Singin' In The Rain" plus eine Variation über Rihannas "Umbrella" an den Beginn seines Konzerts zu stellen. 20 Minuten bevor der englische Sänger und Pianist mit seiner vierköpfigen Band die Bühne betritt, hatte es begonnen, wie aus Kübeln zu schütten. Wer seinen Regenschirm zu Hause vergessen oder kein Regencape eingesteckt hatte, suchte Zuflucht unter fremden Schirmen - bei einem ausverkauften Stadtpark und einem dicht gedrängt stehenden Auditorium nicht allzu schwer.

Cullum, dieser Grenzgänger zwischen Jazz und Pop, spielte mit all seiner sympathischen Rotzlöffel-Attitüde und seiner Musikalität gegen die Unbill des Wetters an. Und findet etwas pathetische Worte des Dankes an sein Publikum: "Ihr werdet für immer meine Freunde sein, weil ihr trotz des schlechten Wetters hergekommen seid, um uns zu sehen." Es sei immer wieder eine Freude, nach Hamburg zu kommen, die Stadt sei eine "Fun City". Hamburg als "Spaß-Stadt" ist jedenfalls eine ganz neue überraschende Bezeichnung. Aber vielleicht meint der jungenhaft wirkende Musiker mit den immer verwuschelten Haaren den eigenen Spaß, den er jeweils bei seinen Konzerten in Hamburg hatte. Egal, ob im Mojo Club, im Grünspan, in der Laeiszhalle oder vor vier Jahren ebenfalls im Stadtpark, das Hamburger Publikum feierte das in Essex geborene Multitalent. Mit zwei ausverkauften Konzerten innerhalb weniger Wochen erreicht er fast Popularitätswerte wie Ina Müller.

Jamie Cullum versteht sich eigentlich als Jazzmusiker. Doch mit einem instrumentalen Programm aus Swing und Modern Jazz ist es kaum möglich, 4000 bis 5000 Zuhörer zu mobilisieren. Aber Cullum hat dieses Entertainment-Gen, mit dem auch jemand wie Robbie Williams geboren wurde. Er sitzt eben nicht brav hinter seinem Flügel, sondern benutzt das schwarze Monstrum gern als Turninstrument und Absprungrampe weit hinein in die Bühnenmitte. Und weil er so viel Charme hat, sieht man ihm auch nach, dass er eine Werbe-Eloge auf seinen Klavierausstatter hält, der ihm dieses handgearbeitete Instrument zur Verfügung gestellt hat. Die Klavierbauer dürften allerdings den Mund zu einem säuerlichen Grinsen verzogen haben, wenn sie gesehen hätten, wie Cullum auf dem 120 000 Euro teuren Instrument herumspringt. Ihm ist es egal, das Publikum hat am exaltierten Showgehabe seine Freude, und genau das will Jamie Cullum: Spaß! Er rennt herum, er animiert zum Mitklatschen und Mitsingen, er scherzt mit den Fans. Da sind klitschnasse Socken schnell vergessen.

Doch Jamie Cullum als Musikclown abzustempeln, täte ihm Unrecht. Er ist ein versierter Pianist und ein Sänger, der mühelos Standards neu interpretieren kann. Er versteht es, den Balladen große Spannung zu geben. Und er kann genauso lässig swingen wie die großen Crooner des Swing. "I Get A Kick Out Of You" klingt bei ihm sperriger als bei Frank Sinatra. Die von Cole Porter geschriebene Nummer singt er nur von seinem Bassisten begleitet und nutzt sie für eine ausgedehnte Improvisation, die sagen will: "Seht her, wie gut ich auch scatten kann!" Besonders lässig swingt er durch "Just On Of Those Things", ebenfalls von Cole Porter geschrieben. Ein Kritiker hat ihn einmal als "Sinatra in Turnschuhen" bezeichnet. Durchaus zutreffend, denn Cullum ist ein Charmeur, allerdings einer neuen Schule mit etwas rüderen Scherzen. Das Wort "Scheiß" hätte Sinatra auf der Bühne sicher nie in den Mund genommen, Cullum kommt es wie selbstverständlich über die Lippen. Als er "Not While I'm Around" aus dem Musical "Sweeney Todd" ankündigt, entschuldigt er sich für das meditative Intro: "Aber vielleicht habt ihr Lust, dazu etwas von diesem Yoga-Scheiß zu machen." Spirituell geht es bei Cullums Konzerten jedenfalls nicht zu.

Obwohl der Brite und seine erstklassig aufeinander abgestimmte Band eine Menge Jazznummern im Programm haben, wächst der 30 Jahre alte Jeansträger auch immer mehr zur Konkurrenz für Elton John und Billy Joel heran, die bisher als die besten "Piano Men" im Popbusiness gelten. Elton John titulierte den Landsmann bereits als "den weniger nervigen Robbie Williams". Cullum ist nicht nur Interpret bekannter Jazz- und Musicalnummern, sondern auch beachtenswerter Songschreiber.

Seit der Autodidakt 1999 sein erstes Album mit dem arroganten Titel "Heard It All Before" veröffentlicht hat, hat er für jedes seiner inzwischen fünf Werke ausgesprochene Ohrwürmer komponiert. Seine aktuell stärkste Nummer heißt "Mixtape" und findet sich auf dem 2009 erschienenen Werk "The Pursuit". Als letzten Song vor den Zugaben spielt er dieses furiose Stück, der Regen wird wieder stärker, doch seinen Fans ist inzwischen alles egal. Sie tanzen, was das Zeug hält, ob mit oder ohne Schirm.

In den Zugaben covert Cullum "The Wind Cries Mary" und erweist damit dem von ihm verehrten Jimi Hendrix seine Hommage. Wie der Pianorabauke behandelte auch der Gitarrist seine Instrumente nicht allzu pfleglich. Hendrix setzte schon mal eine Gitarre in Brand. Was mit dem Flügel angesichts des Regens schwierig geworden wäre.