Die Big Art Group zeigt auf Kampnagel eine Endzeitvision

Hamburg. Es ist nicht lustig, als letzter Überlebender übers Eis zu stolpern. Der Nordpol wirkt noch unwirtlicher als sonst. Schlittenhunde und Eisbären spenden keinen Trost. Das Gesetz der Dunkelheit regiert.

Es ist eine düstere apokalyptische Vision, die der britische Autor Matthew Phipps Shiel in seiner wohl berühmtesten Science-Fiction-Novelle "The Purple Cloud" 1901 ausgemalt hat. Ein Schreckensszenario, wie es nach einem potenziellen ultimativen Umwelt-GAU jederzeit vorstellbar ist.

Das New Yorker Performancekollektiv Big Art Group gewinnt aus dem Stoff in seiner Performance "The Sleep", die es beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel vorführte, Szenen von unwirklicher Schönheit und Melancholie. Der knapp einstündige Abend spielt hinter einem Gaze-Vorhang, der Durchsicht ausdrücklich erlaubt. Kunst und Kunstschöpfung gleichzeitig transparent macht. Unter einer dicken Daunenparkajacke blickt Performer David Commander als letzter Mensch skeptisch ins Bühnenlicht. Ein eingeblendetes Video lässt ihn gegen dicke Schneeflocken ankämpfen. An Bord des Schiffes "The Boreal" startet er seine Nordpol-Expedition. Unterwegs fällt seine gesamte zwölfköpfige Crew einer purpurfarbenen Giftwolke zum Opfer. Er selbst gelangt schließlich in ein geisterhaft leeres London, reist quer durchs Land auf der Suche nach Überlebenden - und findet doch nur Tod und Leere. Schließlich strandet er in Konstantinopel, wo ihn eine verstörte Überlebende verfolgt.

Wenige Worte aus dem Off umreißen kaum mehr als ein Skelett des Novellentextes von Shiels. Bei der Big Art Group sprechen vor allem die Bilder, die das Kollektiv in einem Mix aus visuellen und akustischen Effekten, Live-Cinematographie und Puppenspiel-Collage erstellt. Hinter dem Gaze-Vorhang sieht der Zuschauer die Performer hektisch Miniaturkulissen, Eisbären, Huskies, Schiffe, Meereswogen und Bürogebäude Londons aus Pappmaché hin- und herschieben, die durch das Auge der Kamera übergroß auf den Vorhang projiziert werden. Der letzte Mensch greift nach zwei an den Scheinwerfern befestigten Seilen, und schon rast er auf einem dazu geschnittenen Hundeschlitten über das Eis.

Es sind diese mit Liebe arrangierten Effekte, die den Abend zu einem multimedialen Gesamtkunstwerk erheben. Einen Text zu inszenieren heißt für die New Yorker, ihn wirklich nur als grobe narrative Richtschnur für die eigene Kreativität zu nutzen. Einen eigenen apokalyptischen Thriller zu erzählen. Zu den raffinierten Bildern gesellt sich der Ton. Hypnotisch wummern die Bässe im Postrock-Gestus. Darüber jubilieren ein paar desillusionierte Trip-Hop-Gitarren. Sänger Xavier blickt großäugig in die Kamera und singt mit der Inbrunst der Verzweiflung.

Suggestiver können die Mauern Londons nicht einstürzen. In der Zusammenschau ihrer kleinen Kunstideen ist die Big Art Group ganz groß.

Big Art Group: "The Sleep" heute, 20.00, Kampnagel, Jarrestraße 22-24 www.kampnagel.de