Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven erzählt in theaterähnlichen Inzenierungen vom Abschied, von Wehmut und von Hoffnungen:

Bremerhaven. Wie fühlt man sich, wenn man alles hinter sich lassen muss: die Familie, die Freunde, die Orte der Kindheit, die vertrauten Landschaften und sogar die Muttersprache? Martha Hüner ist 17 Jahre alt und bisher kaum über die Grenzen ihres Heimatortes Geestemünde bei Bremerhaven hinaus gekommen. Am 30. November 1923 steht das junge Mädchen mit den Eltern und Schwestern, einigen Freunden und Bekannten an der Kaje in Bremerhaven und nimmt Abschied. Martha weiß nicht, was ihr die Zukunft in der Neuen Welt bringen wird. Schließlich geht sie die Gangway hinauf, ihrem neuen Leben entgegen.

So oder so ähnlich hat sich diese Szene unzählige Male abgespielt, mehr als sieben Millionen Menschen sind zwischen 1839 und 1974 über Bremerhaven ausgewandert. Ähnlich wie das Auswanderermuseum BallinStadt in Hamburg führt das 2005 eröffnete Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven seinen Besuchern vor Augen, was es zu unterschiedlichen Zeiten und unter unterschiedlichen Umständen bedeutet hat, seine Heimat zu verlassen und einen völlig neuen Anfang zu wagen.

Das vom Studio Andreas Heller konzipierte Auswandererhaus arbeitet noch viel stärker mit theaterähnlichen Inszenierungen als sein Hamburger Pendant. Innerhalb von fünf Jahren konnte das Haus, das 2007 mit dem renommierten Europäischen Museumspreis ausgezeichnet wurde, mehr als eine Million Besucher verzeichnen - für eine Stadt wie Bremerhaven ein beachtliches Ergebnis. Jeder, der das moderne Gebäude betritt, das heute dort steht, von wo aus die Auswanderer früher ihre Schiffspassage in die USA, aber auch nach Argentinien oder Australien antraten, bekommt eine neue Identität. Er erhält den "Boarding Pass" einer von 18 realen Personen, die an diesem Ort in ein neues Leben gestartet sind. Martha Hüner ist eine dieser Personen, deren Schicksal die Besucher nun Schritt für Schritt verfolgen können.

Das beginnt mit dem Abschied: In einem großen dämmrigen Raum begegnet man lebensgroßen Puppen in historischer Kleidung am Kai vor einem Schiff, zu dem eine Gangway hinaufführt. Die Inszenierung ist aufwendig, die Größenverhältnisse stimmen, wer genau hinschaut, sieht sogar, dass die Schiffswand im Wasser schaukelt. Wenn man nun aus dem "Boarding Pass" eine Chipkarte zieht und sie neben die Figurinen hält, werden sie zu sprechenden Zeitzeugen, erzählen vom Abschied, von Wehmut und Ungewissheit, von den Gründen, die sie zur Auswanderung bewogen haben, aber auch von den Hoffnungen.

Martha Hüner werden wir bei unserer Reise immer wieder begegnen. Wir erfahren, dass sie nach zehntägiger Überfahrt mit der "München" in New York angekommen ist und dort von Tanten und Cousinen erwartet wird. Sie findet Arbeit als Kindermädchen im Haus eines Diplomaten, heiratet 1925 den Bäcker Willy Seegers, der aus Hameln stammt. 1932 eröffnen sie eine Bäckerei in Weehawken im Bundesstaat New Jersey. Martha hat den Kontakt zu ihrer Familie in Deutschland niemals verloren. Am Ende ihres Lebens kehrt sie als Witwe nach Bremerhaven zurück, wo sie am 3. Juli 1987 81-jährig im Haus ihrer Schwester stirbt.

Während Martha Hüner 1923 recht komfortabel über den Atlantik gefahren ist, war die Überfahrt für viele Auswanderer eine Tortur, vor allem im Segelschiffzeitalter. Wir begegnen drei Schiffsmodellen: dem Segelschiff "Bremen", das 1854 vom Stapel lief, dem 1887 gebauten Schnelldampfer "Lahn" und dem Liner "Columbus" aus dem Jahr 1929. Originalgetreu nachgebaute Kabinen der Dritten Klasse dieser drei Schiffe zeigen, wie sich die Unterbringung sowie die Hygiene- und Ernährungsbedingungen zwischen Mitte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verbessert haben. Doch wer schließlich die Neue Welt erreichte, war noch nicht wirklich angekommen. Die Dritte-Klasse-Passagiere mussten erst einmal in Ellis Island aufwendige und zum Teil entwürdigende Formalitäten über sich ergehen lassen. Das schloss intensive medizinische Untersuchungen mit ein und gipfelte in einer peinlich genauen Befragung durch einen Einwanderungsbeamten.

In einem nachgebauten Abfertigungstrakt können die Besucher das nachvollziehen und auf dem Bildschirm jene Fragen beantworten, die damals den Auswanderern gestellt wurden. Martha Hüner bestand die Einwanderungsprüfung und durfte Ellis Island verlassen und amerikanischen Boden betreten, wo sie zumindest ihr kleines Glück fand - wie bei Weitem nicht alle, aber doch sehr viele derer, die sich auf das Abenteuer Auswanderung eingelassen haben, das sich in Bremerhaven sehr eindrucksvoll nacherleben lässt.

Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven: Columbusstraße 65, 27568 Bremerhaven, bis Oktober Mo-So 10.00-18.00 geöffnet; Infos im Internet unter www.dah-bremerhaven.de