Philippe Quesne und das Vivarium Studio zeigen “Big Bang“ beim Internationalen Sommerfestival

Kampnagel. "Big Bang" klingt nach einem großen Knalleffekt. Einem Ereignis, das mindestens Häuser in die Luft fliegen lässt. Wenn der französische Theatermacher Philippe Quesne und sein Vivarium Studio ihre neue Produktion "Big Bang" ab Donnerstag beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel präsentieren, wird von spektakulären Explosionen wenig zu sehen sein.

Vielmehr sorgsam ausgewählte Rituale der Gegenwart, eingebettet in kleine Zeremonien, die zugleich lächerlich und verspielt, voller Witz und Bitterkeit wirken. Eingebettet in eine Art Rahmenhandlung geht es um nicht weniger als den Urknall, der die Welt hervorgebracht hat. Der Zuschauer sieht Bilder des sich aufrappelnden Lebens. Amöben beim Ballett, Steinzeitmenschen, die sich am Lagerfeuer wärmen. Nachfahren, die sich die Zukunft in Form einer grünen Insel und sogar das All erobern. Der Abend, koproduziert vom Internationalen Sommerfestival, feierte beim Festival d'Avignon Premiere. Die Karten waren schnell vergriffen, denn seit Quesne, von Haus aus bildender Künstler und Ausstatter, sein Theaterlabor Vivarium Studio - inklusive Hund Hermès - 2003 zusammenfand, reißen sich die Festivals um die Pariser.

"Der Zuschauer hat manchmal Mühe, sich auf diese Fabel einzulassen, er projiziert alles Mögliche auf die Akteure", sagt Philippe Quesne. Der Theatermacher wirkt so sanft und sympathisch wie seine Arbeit. Das Theater ist für ihn ein lebendiges Gebilde, in dem sich extreme und gewöhnliche Dinge gleichermaßen zutragen. Er übersetzt sie in winzige Erfahrungen voll großstädtischer Melancholie. Sein Theater ist eines der sparsamen Mittel. Es kommt mit einem Minimum an Worten, Gesten und Bewegungen aus, die Quesne mit den Akteuren entwickelt. "Man beobachtet anders, wenn die Gesten diese Sanftheit haben. Die scheinbare Banalität, Deplatziertheit und Nonrentabilität des Körpers erzählt eine Menge. Er muss nicht notwendig trainiert sein, um präsent zu sein", sagt Philippe Quesne.

So wie er seine Darsteller in ein dekoratives Milieu wirft, steht der Mensch der Welt, in die er geworfen ist, hilflos gegenüber. Er spürt die Unabänderlichkeit seines Schicksals, das Voranschreiten der Evolution, das Altern, den sicheren Verlust. "Ich liefere keine Antworten auf die Fragen der Welt. Mich interessiert der Mensch auf der Suche", sagt Quesne. Von diesen Szenen fertigen die Akteure in "Big Bang" comicartige Zeichnungen an. "Ich schätze diese Art, die Dinge in ihrem Moment festzuhalten. Man erlangt ein Bild von der Welt, die sich trotzdem weiterdreht."

Im vergangenen Jahr begeisterte und irritierte Quesne die Besucher des Internationalen Sommerfestivals bereits mit "La Melancolie des Dragons". Wippende Perücken in einem zum Schaufenster umfunktionierten Anhänger formierten sich zu einer imaginären Band. Später wurde vor den Augen der charmant überwältigten Akteure mit gigantischen Plastikkissen, Projektionen und Seifenblasen ein Vergnügungspark simuliert. Quesnes Theater lebt von diesen unspektakulären Effekten, die uns vor Augen führen, was Theater eigentlich ist, inszenierte Illusion. Wie immer hat er auch hier einige Elemente, Fingerzeige aus der "Melancolie", in seine neue Produktion "Big Bang" hinübergerettet.

Üblicherweise beginnt Quesne mit dem Titel, sammelt kleine Situationen und entwickelt von dort aus das neue Stück. "Der Titel war wie immer Zufall. Ich habe mich schnell auf ihn fixiert", erzählt der Theatermacher. "Big Bang kann alles sein. Eine Explosion, eine grundlegende Theorie, vielleicht aber auch nur eine Aussage in einer Comic-Sprechblase."

In Avignon polarisierte das Stück die Besucher. Manch einer, der eine große künstlerisch geformte Aktion erwartet, fühlt sich vom scheinbar Unspektakulären provoziert. Das Theater des Philippe Quesne verlangt, dass man sich auf seine sanften Gesten, den Charakter des Beiläufigen einlässt. Dann kann es ein unvergesslicher Abend werden.

Philippe Quesne/Vivarium Studio: Big Bang, 19. bis 21.9. jew. 21.00, Internationales Sommerfestival Hamburg 2010 bis 28.8., Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 22-24, Karten von 6,- bis 24,50 unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de