Die kanadische Serie “Durham County“ ist visuell überragend und ungeheuer spannend

Fernsehen sei inzwischen das bessere Kino, schrieben Kritiker schon vor Jahren, als Serien wie "The Sopranos", "Six Feet Under" oder "Weeds" die Qualitätslatte hoch und höher legten. Und tatsächlich gibt es nirgendwo sonst die Möglichkeit, Charaktere so komplex anzulegen und eine Geschichte mit so viel Tiefgang zu erzählen, wie in den zahlreichen Serien, die insbesondere der amerikanische Bezahlsender HBO produzieren lässt. Wobei in der Worthälfte "Bezahl" auch schon ein großer Teil des Geheimnisses verborgen liegt. Hier wird eben nicht mit starrem Blick auf Quote und Werbeerlöse möglichst Massentaugliches zusammengeschustert, sondern von besten Drehbuchautoren und Top-Regisseuren Hochklassiges für ein anspruchsvolles Publikum geboten. Dass dabei jede Menge Auszeichnungen abfallen und über DVD-Verkäufe ordentlich Geld in die Kassen fließt, stört natürlich auch nicht gerade.

Als den Mädchen die Hände gefesselt werden, ist das ihr Todesurteil

Das neueste Serien-Highlight, das jetzt auf den Ladentischen liegt, kommt allerdings nicht aus den USA, sondern aus Kanada - und erfordert schon in den ersten fünf Minuten eine gewisse Nervenstärke. Ein Mann ist zu sehen, der mit zwei Teenager-Mädchen in Schuluniformen im Wald picknickt. Es wird gelacht, man flirtet, eine der beiden beginnt aufreizend zu tanzen, aber als die beiden vielleicht 14-Jährigen kichernd zulassen, dass ihnen die Hände gefesselt werden, ist das ihr Todesurteil. Ein Stein saust nieder, Schädelknochen brechen - nicht, dass tatsächlich von all dem Grauen viel zu sehen wäre, aber die wenigen Eindrücke reichen, damit sich die Magengrube zusammenzieht und die Nackenhaare aufstellen.

Umso mehr, da ein Mann die Bluttat aus dem Gebüsch beobachtet und nicht etwa versucht, den Opfern zu helfen, sondern selbst Hand anlegt, nachdem der Triebtäter verschwunden ist. Ray Prager (Justin Louis) heißt dieses Monster. Ein ehemaliger Eishockey-Star, der seine Frau tyrannisiert und seinen Sohn als Weichei beschimpft. Ein Mann, in dem es brodelt und der jede Sekunde explodieren kann. Insbesondere, seit ins Haus gegenüber sein ehemaliger Highschool-Kumpel Mike Sweeney (Hugh Dillon), ein Detective der Mordkommission, gezogen ist.

Auch wenn Serienkiller-Geschichten schon tausendmal zu sehen waren, so beklemmend ging's selten zu. Was auch daran liegt, dass im provinziellen Durham County so ziemlich jeder ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt, und aus dem bemühten Zahnpasta-Lächeln schnell ein diabolisches Grinsen wird. Da drohen Schuljungen einer neuen Mitschülerin mit Massenvergewaltigung, spielt diese in der Puppenstube Mordszenen nach und sogar das Haus, in das Sweeny mit seiner Familie zieht, hat eine blutige Vergangenheit: Der Vorbesitzer erschoss sich, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte.

Unheilvoll summen die riesigen, den Ort umschließenden Starkstrommasten

Auch das wäre nicht über die Maßen spektakulär, hätte das Regie-Duo Holly Dale und Adrienne Mitchell nicht so überragende Bilder gefunden, die für eine permanente Atmosphäre der Verunsicherung und latenten Bedrohung sorgen. Allen voran die riesigen, schräg von unten gefilmten Starkstrommasten, die unheilvoll summen und den Ort wie von einem undurchdringlichen Energiefeld eingeschlossen wirken lassen. Sorgsam komponierte Tableaus sind das, in denen mal rote Rosen im Wasser schwimmen, mal Kinder, die Masken japanischer Comicfiguren tragen, für unbestimmten Grusel sorgen. Keine Frage, dass hier David Lynch, der alte Zuschauerverstörer, Pate stand. "Durham County" ist eine Serie, deren magenumstülpende Intensität sich bisweilen kaum ertragen lässt.

Durham County - 1. Staffel 300 Min., ab 16 J.