Israelischer Choreograf Hofesh Shechter eröffnet Donnerstag das Internationale Sommerfestival Hamburg mit dem Tanztheater “Political Mother“.

Kampnagel. Vier E-Gitarristen schlagen wild in die Saiten, fünf Trommler in Uniform bearbeiten heftig die Drums. Die Musiker stehen hoch oben auf Podien über der Bühne, treiben mit ihren Rhythmen die Tänzer unerbittlich vorwärts. Zwei Welten prallen aufeinander: Herrscher und Beherrschte. Hofesh Shechter haut in seinem neuen Rock-Tanztheater "Political Mother" richtig auf die Pauke. Das neue energetisch geladene Stück des in England lebenden israelischen Choreografen eröffnet am Donnerstag das Internationale Sommerfestival Hamburg 2010.

Hofesh Shechter war eine Zeit lang Percussionist, schlug sich als Musiker erst in Paris, dann mit der Band The Human Beings in Tel Aviv und London durch. "Das mit der Band funktionierte aber nicht so richtig", erzählt er. Ganz im Gegensatz zu seinen Stücken tritt der schmale Mittdreißiger mit den ernsten dunklen Augen leise auf und spricht auch leise. "Nach vier Monaten war ich pleite und brauchte einen Job, weil London so teuer ist", sagt er beinahe entschuldigend.

Da besann sich der professionell ausgebildete Tänzer auf seinen zweiten Beruf. Beim Volkstanzen in der Schule fand ihn eine Lehrerin talentiert, ermutigte ihn, zu tanzen. Mit 15 besuchte er die Akademie. "Ich war sehr schüchtern und entdeckte nun meinen Körper." Shechter kam zu Ohad Naharins Batsheva Dance Company, ging aber nach drei Jahren. Nun tanzte er wieder im Ensemble von Jasmin Vardimon.

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Aber auch hier hielt es ihn nicht lange. "Ich wollte nicht mehr für andere Leute tanzen, sondern eigene Stücke erarbeiten." Das Duett "Fragments" entstand. "So taumelte ich ins Choreografieren." Nein, korrigiert sich Shechter, es sei kein Taumeln gewesen, wie zuvor sein ständiges Schwanken zwischen Musizieren und Tanzen. "Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine klare Entscheidung getroffen. Beim Choreografieren, dachte ich, kann ich die Musik und den Tanz verbinden."

Es war ganz offensichtlich die richtige Entscheidung. "Cult", sein nächstes Stück 2004, brachte ihm als Choreografen einen Preis und die Aufmerksamkeit der Londoner Szene ein. Mit "Uprising" (2006) und "In Your Rooms" (2007) - beides war beim Sommerfestival 2008 zu sehen - startete Shechter durch. "In Your Rooms" schaffte es innerhalb von ein paar Monaten von "The Place" (300 Plätze) in die Queen Elizabeth Hall (900 Plätze) und von dort ins Sadler's Wells (1500 Plätze).

Davon können andere Choreografen nur träumen.

Auch im neuen Stück scheinen die Tänzer wie unter großem Druck zu agieren. Nebelwolken lasten in der Dunkelheit über ihnen. Geduckte Körper schleifen in fließenden Schwüngen über den Boden, bäumen sich gegen das Klangchaos auf. Die Tänzer vereinen sich im Kreis zu volkstanzähnlichen Reigen oder stampfen wütend, ihre Arme klagend nach oben gereckt, wo ein Rockstar - oder ist es doch eher ein Diktator? - unverständliche Wortfetzen ins Mikro brüllt.

In "Political Mother" beschäftigt sich der Israeli - seit 2002 in England und aktuell nun in Brighton mit seiner zehnköpfigen Gruppe als Artist in Residence tätig - wieder mit den Fragen zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. "Ich denke, ein Stück ergibt sich aus dem anderen. 'Political Mother' ist vielleicht jetzt zorniger und sarkastischer und springt dem Publikum direkt ins Gesicht."

Es handelt vom Missbrauch der Idealen Kameradschaft und Pflicht im Dienste des Heimatlandes, des Mutterlandes, dem der Einzelne etwas schuldig zu sein glaubt - ähnlich wie früher im Stamm oder jetzt im Familienverband. Politiker können diese Werte einsetzen und Menschen dazu bringen, ihr Leben für den Staat oder ein "höheres Ziel" zu opfern. "Es geht mir aber mehr allgemein um menschliches Verhalten, das einerseits von Instinkten und Gefühlen geleitet wird, andererseits sozialen Regeln folgt. Dienen sie vielleicht doch nur unseren Instinkten?"

Sein Stück habe zwar politische Inhalte, aber keine politische Botschaft, betont der Choreograf, der auch die Musik mit einem Violaspieler zusammen komponierte. Die Livemusik ergänzt eine Klangmontage mit Streichern und transformierten oder elektronisch verfremdeten Stücken von Bach und Verdi. "Ich habe auch einen Puls getrommelt, der als Loop den Tanz weitertreibt. Ich wollte einen einfachen Rhythmus, der die Bilder verbindet, als ob man in einem Zug durch Raum und Zeit fährt." So hat der Musiker Hofesh Shechter, der als Junge statt Klavier zu üben lieber sein Tastengeklimper auf Tonband festhielt, nun in dem Choreografen Hofesh Shechter offenbar seinen Meister gefunden.

Political Mother Do 12. - Sa 15.8., 21.00, Kampnagel (Bus 172, 173 Jarrestr., U 3 Borgweg,), Jarrestr. 20, Karten zu 19.53 bis 39.95 bei allen Hamburger Abendblatt-Ticket-Shops und unter der Ticket-Hotline 040-30 30 98 98