Beim Auswärtsspiel der Wahlberliner unterhält Tomte mit einem Heimatabend im Uebel & Gefährlich

Hamburg. Begegnung nahe der Bierbar, er ist dick, sie ist schlank, er tritt ihr auf den Fuß.

"Ups, sorry ... Ach du bist das, hi!"

"Hi!"

"Ja, wie geht's?"

"Gut, ich bin total betrunken."

"Ich auch."

"Viel Spaß dann noch!"

"Dir auch!"

Und dann steht da auch noch der Wiebusch, der Typ von Kettcar, Marcus mit Vornamen. Wiebusch ist ein erklärter Fan des FC St. Pauli, er trinkt trotzdem Bremer Pils, recht so. Schmeckt ja auch besser als Astra. Wiebusch redet mit irgendwelchen Männern über Fußball, es geht um ein Spiel am nächsten Tag, man bespricht die Mannschaftsaufstellung. Die wollen ja tatsächlich selbst spielen! Thees Uhlmann da vorne auf der Bühne faselt da auch von, der blonde Sänger und Chef von Tomte (ehemals Hamburg, jetzt Berlin).

Die Band gibt heute ein Konzert im Uebel & Gefährlich. "Eine geschlossene Veranstaltung ist das hier, und ausnahmsweise gehören wir alle dazu", hat Uhlmann eben erklärt, noch bevor er davon erzählt, dass sein (und Wiebuschs) Label Grand Hotel van Cleef ein Spiel gegen eine englische Mannschaft (deren Mitglieder freilich auch zur Van-Cleef-Familie gehören) austrägt. Die "geschlossene" Veranstaltung ist eine für die eingeweihte, geschmackssichere Indie-Gesellschaft, sie besteht aus Studenten, Angestellten, St.-Pauli-Existenzen und Schanzen-Stylern, und ihre Laune ist: gut.

Man kennt sich nämlich, und so ist es ein nettes Sommertreffen im stickigen Bunker, auf dem die alten Hits gespielt werden und das Bier in Strömen fließt, ach was: Es muss ein ganzer Ozean sein, der hier heute ausgesoffen wird. Heiß ist es, die Barleute funktionieren im Speed-Modus, dabei trägt der pfiffigste von ihnen doch ein T-Shirt mit der tollen Aufschrift: "Fauler Sack". Reinste Camouflage. Die anderen haben Tomte-Shirts an, wie gesagt: geschlossene Gesellschaft. Hier findet jeder Tomte gut. Die süße Indieperle mit Kurzhaarschnitt singt selbstvergessen wirklich jeden Song vom ersten bis zum letzten Wort mit, Donnerwetter.

Es gibt aber auch noch keine neue Platte, weshalb bei allen, die sich nicht ins Hamburger-Pop-Delirium singen, der Aufmerksamkeitsgrad schon mal gefährlich nach unten neigen kann. Man redet dann über feuchte Nachwuchsmusikerträume ("Ein Probenraum in der Schanze, das wär's") und flexibles Musikbeschaffen ("Die neue Arcade Fire sauge ich mir im Netz") oder versucht das Kunststück, den gesamten Abend im abgetrennten Raucherraum mit Blick aufs nächtliche Hamburg zu verbringen.

Dort herrschen Luftverhältnisse wie in Moskau, aber Sauerstoffzufuhr wird ohnehin überbewertet. Aufregend ist bei einem Tomte-Konzert fast gar nix mehr, man findet eher das kleine Glück der großen Vertrautheit. Eine nette Familie ist das hier, wer dem andern mal die Flasche an die Schulter haut oder die Hüfte ans Gesäß drückt, entschuldigt sich aufs Allerliebenswürdigste. Entschuldigen muss sich übrigens niemand für lokalpatriotische Anwandlungen, denn es ist Folklore-Abend. Der erste Song des Sets heißt "Wie sieht's aus in Hamburg".

Na, gut schaut's aus! Die Elbe fließt, die Schiffe fahren. Und in Berlin so? Alles schön laut und aufgeregt? Apropos: Uhlmann, der wie immer Lederjacke trägt und Probleme hat, sein Haupthaar zu bändigen, will erst mal nicht seine Nervosität ablegen, trotz überaus freundlichen Empfangs, "wir haben die Songs jetzt lange nicht gespielt". Und wenn Thees Uhlmann warm werden oder die Aufregung lahmlegen will, dann fängt er einfach an zu erzählen, aufgedreht und mal mehr, mal weniger lustig. Dann gibt's Dönekens zu hören aus dem niedersächsischen Hemmoor, wo die Uhlmanns in der Otzenstraße lebten und die Mutter dann immer auf diesen Namen schimpfte etc. pp.: Wenn Uhlmann den Unterhalter gibt, dann erinnert er fast schon an den Komiker Otto (auch mit den abstehenden Haaren, die heroisch im grünen Neonlicht leuchten). Was ja überhaupt nicht schlecht ist. Als gewesener Hamburger und Jetzt-Berliner ist Uhlmann ja auch ein Außerfriesischer.

Seine Songtexte haben immer schon etwas Bemühtes, aber ihr Pathos wirkt wie immer: Tomte spielen Stücke ihrer zwei besten Alben "Hinter all diesen Fenstern" und "Buchstaben über der Stadt" und auch welche vom bislang letzten Album "Heureka", dann kommen auch die alten Klassiker aus der Mottenkiste: "Wilhelm, das war nichts", "Korn & Sprite".

Zum Schluss dann Uhlmann pur: Akustikversionen von "New York" und "Das hier ist Fußball", der St.-Pauli-Hymne. Spätestens da leuchtet der Saal, der Barkeeper grölt, und nur das Indiemädchen steht stumm, da kann es den Text doch tatsächlich einmal nicht.

Nach anderthalb Stunden gehen die Lichter an und die Türen auf. Man hatte sich während des Konzerts öfter mal aufs Dach des Bunkers gewünscht, wo die Sommer-Konzerte des Uebel & Gefährlich sonst oft sind. Egal, egal. Rock 'n' Roll ist nun mal heiß.

Tomte brauchen weder neue Songs noch frische Luft, übrigens. Das Konzert war ausverkauft.