“Was zusammengehört“: Der Journalist Markus Feldenkirchen erzählt in seinem ersten Roman von historischen Ereignissen und privaten Sensationen.

Hamburg. Und selbst wenn spätestens an der Stelle, an der der natürlich sensible, gerne lesende und Fußball spielende rheinische Junge Benjamin und die holde Maid aus der irischen Idylle sich das Versprechen geben, sich dereinst in Killarney, in einem lauschigen Versteck am Atlantik, wiederzutreffen, die Rosamunde-Pilcher-Zuckrigkeit kräftig durchschmeckt: Kitsch und Klischee killen nicht jeden Roman.

Auch nicht Markus Feldenkirchens Debüt "Was zusammengehört", das dieser Tage erschienen und eines dieser Bücher ist, die immer irgendjemand schreiben, die immer irgendjemand gut finden wird. Weil Ersterer sein persönliches Zeiterleben, vermengt mit den privaten Bezugspunkten der individuellen Biografie, aufschreiben will. Und Letzterer sagen will: "So war es!"

Das funktioniert besonders bei gleichen Generationserfahrungen. Feldenkirchen wurde 1975 in Bergisch Gladbach geboren, er ist ein Kind der Bundesrepublik, und sein erstes Werk ist ein Erinnerungsbuch, das mit vielem von dem aufwartet, was ein Aufwachsen in den Vorwendejahren ausmacht. Gleichzeitig schildert "Was zusammengehört" die universal gültige Sturm- und Drangzeit mit rasanten Schüchternheits-Ausschlägen: die Adoleszenz.

Es geht um die erste Liebe des jungen Benjamin, er ist 16 Jahre jung und auf Klassenfahrt in Irland, als er Victoria begegnet. Er erliegt dem Schwung ihrer Unterlippe (sie "verlief in einem ähnlich schönen Bogen wie das Kinn, sie war stark und kräftig"), hat aber Pech, dass ihr streng religiöser Vater Bürgermeister Killarneys ist, er mag keine verliebten deutschen Jungmänner. Das Örtchen liegt am Atlantik und hätte als Beschreibungsgegenstand auch ganz prima in Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch" gepasst.

Die Irland-Romantik der Deutschen ist ja ein erschütterndes Beispiel hoffnungslos verkitschter Sehnsüchte nach der Labsal einer unverfälschten Ursprünglichkeit, wie sie lange auf der rückständigen Insel herrschte. Bei Feldenkirchens Erzähler, der durchaus spöttisch seine Umwelt kommentiert, wird dieses alte Irland zum Sehnsuchtsort, als er in der Erzählgegenwart eine neuerliche Reise in das strukturgewandelte Land macht, dessen Blüte allerdings welk ist.

An den Docks in Dublin wetteifern die Banken in den Bürotürmen miteinander, wer mehr Schulden stapeln kann. Auch Irland ist krank, es hat Finanzkrise. Der inzwischen 36-jährige Benjamin, der eine Freundin, eine Geliebte, außerdem einen Banker-Job in Frankfurt hat, ist auf Selbstsuche. Da kommt ein Brief aus der Vergangenheit recht - er ist von Victoria. Beruflich muss er eh rüber auf die Insel; was liegt näher, als auf Erinnerungstour zu gehen?

In die Zeit, als er mit Bruno Doppelpässe spielte und den Helmut-Kohl-Lästereien ("Ich hatte eine lupenreine Helmut-Kohl-Jugend, das ist nicht schön") seiner Eltern lauschte.

Der Lieblingslehrer ist Alt-Achtundsechziger und nervt trotzdem nicht, im Gegenteil. Der Mann mit dem Namen Boell ist grundsympathisch und stolz auf die Namensverwandtschaft mit dem Schriftsteller. An Boell ist es, während der Irland-Klassenreise im November 89 zu verkünden, was in der Heimat so vor sich geht. Die Mauer ist auf, und es wächst zusammen, was zusammengehört. Hochdramatisch für die Elterngeneration, aber ein dolles Beispiel dafür, wie relativ Geschichte ist, wenn der erste Kuss und das erste Bier die eigentlichen Sensationen sind. Es ist äußerst gelungen, wie Feldenkirchen das Nebeneinander von Mauerfall, (geteiltem) Irland und Victoria montiert, wie er unbefangen Szenenwechsel und Zeitsprünge arrangiert.

Er will sehr viel in diesem Roman: eine lebenslange Liebesgeschichte erzählen - aufgefädelt an einem beträchtlichen Spannungsbogen -, die Zerknirschtheit eines modernen Unbehausten schildern und zwei Zeitbilder zeichnen (versehen mit allerlei kommentierenden Einschüben), die aus dem Kaleidoskop der geschichtlichen Ereignisse ragen: hier die Weltwende, dort die Weltkrise. Das Getöse der Weltläufte ist, allerdings, nur ein leises Murmeln, wenn beim Tête-à-tête in der Landschaft der Damhirsch röhrt und die Geigen im Liebeshimmel schwelgen.

Markus Feldenkirchen Was zusammengehört. Kein & Aber. 318 Seiten, 19,90 Euro. Der Autor liest auf dem Harbourfront Literaturfestival im Debütantensalon: am 9. September, 18 Uhr, "Cap San Diego".