Der New Yorker Schriftsteller Rafael Yglesias legt mit “Glückliche Ehe“ einen ebenso tieftraurigen wie komischen Beziehungsroman vor.

Wenn ein Buch die glückliche Ehe im Titel verspricht, ahnt man ja nichts Gutes. Sondern vielmehr die Paarhölle auf Erden. Diesen literarischen Erkundungen im Unglück der Zweisamkeit haben sich etwa Francis Scott Fitzgerald und Richard Yates in ihrem Werk verschrieben: den Alkoholexzessen um drei Uhr morgens, den kranken Seelen am Abgrund und Ehekrächen in Einfamilienhäusern. Rafael Yglesias aber ist es ernst mit seiner Ankündigung.

Die Liebesgeschichte zwischen dem Schriftsteller Enrique Sabas und der höheren Tochter Margaret Cohen verdient ebendiese Bezeichnung tatsächlich, über drei Jahrzehnte hinweg - was man ja angesichts all der Beziehungskatastrophen und Rosenkriege, von denen wir täglich hören, lesen und selbst Opfer werden, kaum glauben mag. Yglesias' Roman ist mitnichten ein verklärter Schmachtfetzen, sondern ein differenziertes, anrührendes Protokoll (kein Betroffenheitsbericht!) einer Ehe mit allen Höhen und Tiefen.

Dass es traurig enden wird, nämlich mit Margarets Tod, erfährt der Leser recht bald. Yglesias schneidet an jedes Kapitel aus der Gegenwart eines aus der Vergangenheit und lässt uns teilhaben an der Beziehung vom Kennenlernen bis zum Abschiednehmen. Da ist der bourgeoise Striptease, mit dem sich Margaret im Manhattan der Siebzigerjahre in Enriques Gedächtnis tanzt, dass der Lavastrom aus glänzend schwarzem Haar nur so dahinfließt. Und da sind auf der anderen Seite die Urinbeutel und der Haarverlust, die Schläuche und das frisch Erbrochene, als Margarets Krebserkrankung ihren Höhepunkt erreicht hat.

Seine Besonderheit gewinnt die Geschichte durch die furchtlose Darstellung medizinischer und emotionaler Details. Dazu mag beitragen, dass Enrique bis ins biografische Detail ein Alter Ego des Autors ist, der 2004 seine Frau verlor. "Glückliche Ehe" erzählt von schweren Dingen: Liebe und Tod. Von der vielleicht nicht lösbaren Frage: Wie und warum überlebt eine Ehe die Zeit, wider allen Prognosen, Selbsteinschätzungen und Anfechtungen von außen? Dabei ist Yglesias' Roman von einer erstaunlichen Leichtigkeit und Heiterkeit durchzogen. Wie der tollpatschige Enrique seine Traumfrau zu erobern versucht, wie sich die beiden nach dem ersten gemeinsamen Kind nichts mehr zu sagen haben und sich angesichts der sexuellen Verödung in Affären stürzen - das liest sich amüsant. Treffend gelingt Rafael Yglesias auch die Schilderung des jüdischen Stadtneurotiker-Milieus, durch das sich seine Protagonisten bewegen. Der Intellektuellencharme und die egozentrische Zwanghaftigkeit, die Woody Allen in Dutzenden Versionen durchexerziert hat, finden sich in Anklängen auch hier.

Nun ist ein Wechsel der Zeitebenen kein sonderlich neuer literarischer Kunstgriff und verkommt leicht zur Marotte. In diesem Falle aber ergibt er Sinn: Weil wir die Unbeschwertheit des jungen Paares, ihre Matratzengelage in der WG, unterbrochen von Erektionsstörungen und Linguine-in-Marinara-Soße-Stärkungen, nicht losgelöst sehen können von dem, was da noch über sie hereinbrechen wird. Und weil wir umgekehrt, wenn das Ehepaar Margarets letzte, morphiumvernebelte Tage plant, umso erschütterter darüber sind, wie grausam das Schicksal manchmal zuschlägt. Selbst bei jenen, die es zuvor so reich beschenkt hat.

Liebesbeziehungen gehören zum meistbeschriebenen, gleichwohl kompliziertesten Sujet in der Literatur. Intimität kommt selten glaubhaft daher, Begegnungen wirken häufig wie am Reißbrett konstruiert, die Grenze zur Rührseligkeit, also der Trivialliteratur, ist fließend. Und doch findet sich kaum ein großer Autor, der sich nicht immer wieder an das Thema herangewagt hätte: Philip Roth und John Updike, Martin Walser und Max Frisch.

Yglesias' Ansatz ist fast ein wenig altmodisch, seine Sprache eher einfach als kunstvoll verschachtelt. Sein Erzählen hat so gar nichts Abgeklärtes an sich - was aber nicht bedeutet, dass er Sentimentalitäten ungefiltert aufs Papier fließen lässt. Dem 56 Jahre alten Autor, dessen letztes Buch ganze 13 Jahre zurückliegt, gelingt das Kunststück, zum direkten Schmerzkern seiner Geschichte vorzudringen.

Wo Glück ist, fehlen nicht selten die Worte. Wo sich kein vergebliches Sehnen und Begehren breitmacht, fehlt oft die Inspiration. Rafael Yglesias zeigt, dass es nicht das Krisenhafte braucht, um einen spannungsvollen Roman über die Ehe zu schreiben, der tieftraurig ist und lustig und lehrreich.

Rafael Yglesias: Glückliche Ehe. Klett Cotta, 428 Seiten, 22,90 Euro