Kim Weisswange hat ein Parfüm für Alexander Skrjabins Sonate Nr. 7 kreiert

Hitzacker. Da haben sich wohl auf höhere Verabredung zwei Seelenverwandte getroffen: Die ebenso berühmte wie öffentlichkeitsscheue Hamburger Parfüm-Schöpferin Kim Weisswange und der russische Klavier-Ekstatiker Alexander Skrjabin. Der ist zwar schon vor 95 Jahren gestorben, aber erstens ist seine Musik weiterhin höchst lebendig, und zweitens verkehrt Kim Weisswange mit seinem Geist. Skrjabin erscheint ihr im Traum, seit sie gefragt wurde, ob sie für die Sommerlichen Musiktage Hitzacker einen Duft auf seine Klaviersonate Nr. 7 kreieren würde. Der Duft ist fertig, er steht in einer unscheinbaren Flasche auf dem Tisch ihres Labors in Winterhude. Am Freitag wird das spezielle Gemisch in sorgfältig bemessenen Intervallen in den Mehrzwecksaal des Verdo in Hitzacker geblasen, zum Finale eines Nachtkonzerts, bei dem der Pianist Konstantin Lifschitz besagte Klaviersonate Nr. 7 op. 64 von Alexander Skrjabin spielen wird.

"Der Duft der Musik" heißt der Abend. Er bildet gewissermaßen die Genuss-Fermate des Generalthemas "Ins Labor!", unter dem die 65. Sommerlichen Musiktage Hitzacker stehen. Skrjabin experimentierte mit dem Phänomen der Synästhesie, der Sonderbegabung all jener Menschen, die Töne sehen und Farben hören können. Oder eben auch riechen. In seinen Weltbeglückungsfantasien pflegte Skrjabin, der seinen Geburtstag am 25. Dezember als Hinweis auf eigene messianische Berufung auffasste, die Vision eines Mysteriums, in dem alle Künste und Sinnesempfindungen zum totalen Erlebnis ineinanderfließen. Dazu sollte sukzessive die gesamte Weltbevölkerung durch einen halbkugelförmigen, 2000 Menschen fassenden Schauplatz in Indien geschleust werden, dort der Offenbarung des skrjabinschen Mysteriums teilhaftig werden und sich fortan auf einer neuen Bewusstseinsstufe wiederfinden.

Das megalomane Gesamtkunstwerk blieb Utopie. Doch Skrjabin hinterließ der Welt ein Farbklavier, auf dem die zwölf Töne der chromatischen Tonleiter einer bunt gemischten Farbskala zugeordnet sind. Das C leuchtet strahlend rot, das A grün, das B sieht grau aus und himmelblau das H. In seinem Werk "Promethée" schrieb Skrjabin ein solches stummes Farbklavier in die Partitur. Respektvolle Konzertdramaturgen sorgen seitdem dafür, dass dem Publikum bei "Promethée"-Aufführungen im Saal entsprechende Farbprojektionen geboten werden.

Kim Weisswange, äußerlich mit einem unscheinbaren Riechorgan gesegnet, ist die deutsche Supernase im Parfüm-Geschäft. Sie mischt Düfte für charismatische Marken wie Iris von Arnim oder Herr von Eden, ihre "Unique perfumes" genannten persönlichen Kreationen werden von Jessye Norman getragen und von Madonna, sie beduftete Prinz Charles und selbst den genialen Neutöner und notorischen Wollpulloverträger György Ligeti.

Zur Musik hat Kim Weisswange eine besonders enge Beziehung. Sie spielt ein bisschen Klavier, vor allem aber beherrscht sie die Kunst, dem Duft zu lauschen - und das Aroma der Töne zu erfassen. Jede Taste riecht für sie anders: "Der höchste Ton ist mit einer strahlenden Winterpressung von Zitrone belegt, der tiefste mit schwerem, dunklem Sandelholz. Im Mittelbereich überwiegen Rosentöne." Von den 88 Tasten kommen in der Klaviersonate Nr. 7 60 zum Einsatz, deshalb besteht auch das Parfüm "Skrjabin Sonata No. 7" aus 60 Ingredienzen. "Bergamotte wurde häufig angespielt in dem Stück, es hat einen Chypre-Duft", doziert die Meisterin der Aromen. Nun lassen sich die Höhe der Töne und ihre Häufigkeit in einem Stück präzis erfassen; aber wie fließen Dynamik, Artikulation und Rhythmus ins Sonatenparfüm ein? Weisswange vermeidet das Wort, widerspricht aber nicht, wenn man sagt: Intuition. "Ein Parfüm kreieren ist ähnlich wie das Kreieren von Musik. Die Arbeit an Skrjabins Sonate, die zwischen stark harmonischen Phasen und totalem Chaos, zwischen Licht und Dunkel alles aufbietet - das war, als wenn man über die Duftorgel fliegt. Es hat einen Heidenspaß gemacht."

Kim Weisswange ist so gar nicht der Typ Frau, den man als kreativen Kopf einer Kosmetikfirma vermutet. Auf den Nägeln ihrer Handwerkerinnenhände liegt kein Lack, sie ist schlicht gekleidet, trägt nicht ein einziges Schmuckstück und wirkt mit ihrer herben Stimme fast maskulin. Das grundsätzliche Geschlechterdilemma der Polarität scheint sie auf ihre Weise hinter sich gelassen zu haben. "Schon mein Professor in den USA hat uns dazu angehalten, neben dem Geruchssinn auch unser spirituelles Bewusstsein weiterzuentwickeln", erzählt sie. "Ich kam von Haus aus sehr atheistisch daher und hatte damit erst mal Mühe. Aber nun praktiziere ich seit 25 Jahren verschiedene Formen der Meditation. Das ist beim Kreieren von Düften sehr nützlich. Die Fülle der Schöpfung kommt aus der Leere. Sonst kopiert man nur sich selbst. Interessant wird es, wo man sich auflöst und von der Last des Egos befreit."

Liest sich wie esoterisches Wischiwaschi. Doch aus dem Munde dieser so gar nicht abgeschwebt oder hedonistisch wirkenden Frau klingt das glaubwürdig und selbst erfahren.

Ihre schöpferische Arbeitsleistung an der Rezeptur für "Skrjabin Sonata Nr. 7" ist ein Geschenk für Hitzacker. Ob das Parfüm je auf den Markt kommt? "Das hängt von vielen Faktoren ab, etwa den Erben Skrjabins", weiß Weisswange aus leidvoller Erfahrung mit anderen Celebrities wie etwa Maria Callas, deren Parfüm sie postum rekonstruiert hat. "Und wenn, dann sollte ein Charity-Aspekt dabei sein. Ein Teil des Verkaufspreises könnte in die Förderung junger Musiker fließen."

Der Duft der Musik: Fr 6.8. 22.00, Verdo Hitzacker, Dr.-Helmut-Meyer-Weg 1, 29456 Hitzacker, Tickets zu 8,- unter T.: 05862/94 14 30