Das Unternehmen ProMedia spürt Menschen auf, die sich illegal Musik aus dem Internet herunterladen. Den Tätern drohen hohe Geldstrafen.

Hamburg. Stefan hört Lena. Den ganzen Tag schon. Immer wieder "Satellite" über Kopfhörer, das kann nerven, aber Stefan bleibt locker - ist halt sein Job. Sogar einer, den er gerne macht, weil er das Gefühl hat, auf der richtigen Seite zu stehen. Und wenn es dafür acht Stunden Lena sein muss oder einen halben Tag Rammstein, dann ist das eben so.

Der Jurastudent gehört zu den etwa 80 Mitarbeitern von Frank Lüngen, dem 42 Jahre alten Ermittlungsleiter der Firma ProMedia. Die hat ihre Heimat auf einer Büroetage im Hamburger Grevenweg und bildet im Auftrag des Bundesverbandes der Phonoindustrie die Frontlinie beim Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen.

Dabei wird die Hauptarbeit in schmucklosen Räumen an zahllosen PC getan. Hier starren mehrere Dutzend Studenten starr auf den Monitor und klicken sich durch die illegale Download-Welt - beispielsweise um Menschen aufzuspüren, die gerade das Debütalbum von Lena Meyer-Landrut auf einer der vielen Tauschbörsen herunterladen oder anderen zur Verfügung stellen. Eine strafbare Handlung, die viel leichter aufzudecken ist als manch Downloader glaubt. Um das zu demonstrieren, schwingt Lüngen sich selbst hinter den Rechner, loggt sich bei der Tauschbörse "BearShare" ein und hat wenige Mausklicks später die IP-Adresse eines Users auf dem Schirm, der nicht nur Lenas "Satellite", sondern noch weitere 869 Dateien anbietet. Zwei Klicks weiter weiß er: Der Erwischte ist Kunde der Deutschen Telekom und wohnt in Konstanz. Nun geht alles seinen üblichen Weg. Der heruntergeladene Song wird angehört, um zu prüfen, ob die "Satellite" betitelte Datei wirklich den Lena-Hit enthält. Sobald Student Stefan das per Kopfhörereinsatz geklärt hat, übernimmt Clemens Rasch.

+++ Illegale Musik-Downloads: Millionenstrafe für Hausfrau +++

Der Anwalt ist Geschäftsführer von ProMedia und führt eine Kanzlei, die vor Gericht einen "zivilrechtlichen Auskunftsanspruch" geltend macht. Der erlaubt dem Provider, in diesem Fall also der Telekom, Name und Adresse des Downloaders herauszugeben. Routine, ebenso wie die rund 1200 Euro teure Abmahnung plus Unterlassungserklärung, die dem Erwischten wenige Wochen später zugestellt wird.

"Natürlich bin ich für viele ein Feindbild", sagt Rasch, der Musik studiert hat und immer noch regelmäßig an der Kirchenorgel sitzt. "Aber damit kann ich leben." Rasch ist ein Überzeugungstäter. Einer, der von "Massendelikten", "gefühlter Kontrolldichte" und "Abschreckungseffekten" spricht. Einer, der keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Ladendiebstahl und illegalem Download zu erkennen vermag. Und der mit Lüngens Hilfe daran arbeitet, dass irgendwann jeder Computernutzer jemanden kennt, der jemanden kennt, der schon mal erwischt wurde. Und zahlen musste.

Dass CDs zu teuer sind, illegale Downloads einen Werbeeffekt haben können und schon aus Kostengründen das Gros der heruntergeladenen Songs nicht gekauft würde, ficht ihn nicht an. Finanziell nicht zu verkraften für Plattenfirmen und Künstler sei die derzeitige Situation, sagt Rasch. Und Lüngen ist schnell mit einem Beispiel bei der Hand von einem "jungen Künstler", der sogar in der Fernsehshow "The Dome" aufgetreten sei und trotzdem fast keine CD verkauft habe, weil sein Hit zehntausendfach illegal heruntergeladen wurde. "Da kann ich verstehen, wenn der Junge die Lust verliert." Überhaupt dürfe man nicht nur auf die Top-Stars schauen, auch wenn die Hits von Robbie Williams und Co. im Netz natürlich besonders begehrt sind, was Rasch mit einem achselzuckenden "der Musikgeschmack der Downloader ist enttäuschend gleichförmig" kommentiert. Während jedoch eine Madonna den Verdienstausfall verschmerzen könne, treffe es unbekanntere Musiker hart, wenn ihr Album auch nur 100-mal weniger gekauft werde.

Deshalb, so Lüngen, kommen Ermittlungsaufträge nicht nur von der Phonoindustrie, sondern auch von Künstlern, die ihre eigenen Songs entdeckt haben. In den mehr als 75 größeren Tauschbörsen, aber auch bei sogenannten Filehostern wie RapidShare, die Speicherplatz in Petabyte-Dimensionen (entspricht einer Million Gigabyte) anbieten. Hier finden sich unzählige Alben und Songs sämtlicher Genres. Ob Lena, lettische Folklore oder das neue Metallica-Album, das eigentlich erst in ein paar Wochen in den Läden steht: alles da. Wo genau es sich finden lässt, verraten zahllose Blogs im Netz, die die entsprechenden Download-Links liefern. Da die Downloader hier nicht direkt ermittelt werden können, tritt ProMedia direkt an Firmen wie RapidShare heran und fordert sie auf, die entdeckten Links zu löschen - manchmal im Minutentakt. "Wenn wir um elf Uhr etwas finden, ist der Link um zehn nach elf gelöscht", erklärt Lüngen. Aber er weiß auch: Eine Viertelstunde später taucht das Material irgendwo anders wieder auf. Dennoch: Nach Angabe des Bundesverbandes der Musikindustrie ist die Anzahl der illegalen Downloads von 600 Millionen im Jahre 2004 auf 258 Millionen im Jahre 2009 gesunken. Jedes Wochenende sind Lüngens Mitarbeiter auf Flohmärkten und Plattenbörsen unterwegs und suchen nach CD-Fälschungen oder nicht autorisierten Live-Mitschnitten. Das sorgt für Verunsicherung, wie unlängst auf einer Börse in Hamburg zu sehen: Fast keiner der vielen Händler hatte auch nur einen einzigen Bootleg ausgelegt. Zu groß die Sorge, dass sich Ermittler unter die Kunden gemischt haben könnten. Doch bei allem Aufwand: Endgültig zu gewinnen ist dieser Kampf nicht, das wissen Lüngen und Rasch, denn dazu sei "die Gier einfach zu groß".

Für Stefan und seine Kollegen, die sich wohl noch lange durch illegale Downloads oder auf CD gebrannte Discomixe hören können, ist das eine gute Nachricht. Sie finanzieren mit dem Job schließlich ihr Studium.