Regisseur Volker Schlöndorff legt 30 Jahre später einen Director's Cut seiner berühmten “Blechtrommel“ vor

Wo anfangen bei einem Film, zu dem es so viel zu sagen gibt, dass sich ganze Bücher dazu füllen ließen? Man könnte über die viel zitierten Siebzigerjahre berichten, in denen Fassbinder, Wenders, Herzog und eben Volker Schlöndorff in ihren Filmen Zeugnis vom Zustand dieses Landes ablegten. Man könnte auch mit den Superlativen beginnen, die immer fallen, wenn von der "Blechtrommel" die Rede ist: Der Roman von Günter Grass wurde weit über drei Millionen Mal in 24 Sprachen verkauft, die Verfilmung durch Schlöndorff gewann 1979 die Goldene Palme in Cannes und bescherte 1980 erstmals nach dem Krieg einem deutschen Regisseur den Oscar. "Die Blechtrommel" - eine Kinolegende. Vielleicht einfach am Ende anfangen: In den Geyer Kopierwerken in Berlin, die vor zwei Jahren ihr Archiv entrümpelten.

Der Anruf ging an Schlöndorff: Ob man die 60 000 Meter Negativmaterial der "Blechtrommel" entsorgen könnte? Da wolle er vorher einen letzten Blick drauf werfen, antwortete der Regisseur - und konnte sich dann nicht trennen von den einst aussortierten Schätzen. Das Ergebnis nennt sich nun Director's Cut, ist zwanzig Minuten länger als die ursprüngliche Fassung und feierte im Juni auf dem Münchner Filmfest seine Deutschlandpremiere. Nun ist auch die DVD mit der verlängerten Version erschienen, dazu gibt es Interviews mit dem Produzenten Eberhard Junkersdorf, dem Production Designer Nikos Perakis und Schlöndorff selbst.

"Der Film ist gut. Aber jetzt ist er besser", lautete das Fazit des Regisseurs zur Langfassung. Darüber kann man geteilter Meinung sein. Bemerkenswert aber ist die "Wiederauferstehung" der rund 300 Blechbüchsen, die mehr als dreißig Jahre im Kopierwerk-Keller lagerten. Die Bildqualität der Szenen, die Schlöndorff wieder reingeschnitten hat, war noch sehr gut, der Ton dagegen hinüber. Also wurde nachsynchronisiert. Mario Adorf und Angela Winkler haben sich stimmlich kaum verändert, der knarzige, verrauchte Bass von Katharina Thalbach aber ist von der Tonlage des jungen Mädchens Maria so weit entfernt wie die Autobahnraststätte vom Naherholungsgebiet. Sie ließ sich von ihrer Tochter Anna Thalbach vertreten, David Bennents Stimme wurde digital auf die Tonhöhe seines damals kindlichen Organs gesenkt. Was nun tatsächlich klingt wie ein Zwölfjähriger vor dem Stimmbruch.

Von einer ungewöhnlichen Kindheit erzählt "Die Blechtrommel". Von Oskar, dem anarchischen Dreikäsehoch, gespielt von David Bennent, der seinen ganzen Zorn auf die Welt heraustrommelt und einfach zu wachsen aufhört. Weil er kein Kleinbürger werden will, kein fanatischer Nazi, kein feiger Mitläufer. Dieser klare Fokus war klug gewählt - weshalb die sogenannte "Rasputin"-Szene, die nun in Langfassung auftaucht, eine schöne Ergänzung darstellt: Darin stellt sich Oskar die Orgien am Hof in Petersburg vor und hält, ohne ein einziges Mal mit der Wimper zu zucken, einen langen Monolog über Goethe und "Die Wahlverwandtschaften". Was für eine sonderbare Kinderfigur, was für ein ungewöhnlicher Schauspieler. Bennent, der Zwölfjährige, soll bei den Dreharbeiten sämtliche Dialoge auswendig gekannt haben - nicht nur seine, sondern die aller Schauspieler - und selbstbewusst "Aus" gerufen haben, wenn er sich nicht richtig ins Bild gesetzt fühlte.

Außerdem zeigt der Director's Cut ausführlich die Vertreibung der Deutschen aus Danzig sowie Wochenschau-Ausschnitte des Kriegsbeginns. Überhaupt verankert die neue Fassung Oskars Geschichte mehr in der Zeitgeschichte, was selbstredend interessant ist, für den roten Faden des Films jedoch unerheblich bis überflüssig.

Mario Adorf wiederum ist dank Schlöndorffs Rekonstruktion schlussendlich doch noch zu seiner Lieblingsszene gekommen. Um den einzigen "heldenhaften Moment" seines Nazi-begeisterten Alfred Matzerath hatte Schlöndorff den Schauspieler im Schnitt gebracht, wurde dieser nicht müde zu jammern. Nun ist er zu sehen: Matzerath, den wir bislang nur als Duckmäuser kennengelernt haben, begehrt gegen zwei Gestapo-Schergen auf, die Oskar in eine Euthanasie-Anstalt stecken wollen. Ein schöner, ein beeindruckender Moment - für Adorf natürlich, aber auch für den Zuschauer.

Und doch, es bleibt dabei, dass die Wiedererweckung einzelner Szenen den Film nicht bereichert. Dass Schlöndorff trotzdem versucht hat, sie vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren, schadet aber auch nicht - als Archivar seiner selbst in die Geschichte eingehen, wie seinerseits befürchtet, wird er deshalb nicht. Der Director's Cut bildet fortan eine interessante Fußnote in der unendlichen Geschichte der "Blechtrommel", die man noch seitenlang weitererzählen könnte - vom Prozess wegen Kinderprostitution im Jahr 1997 über die für den Regisseur einschüchternden Setbesuche vom Meister Günter Grass bis hin zum historischen Dreh auf der Maiwiese mit rund 4000 Komparsen.

Den eigentlichen, den gültigen Film allerdings hat uns Volker Schlöndorff vor mehr als 30 Jahren gezeigt.

Die Blechtrommel - Director's Cut D 1979, 156 Minuten, ab 16 Jahren, Arthaus, 14,99 Euro