Draußen wuchert Unkraut, drinnen verstaubt der Jugendstil. Die Schwarzwaldklinik steht seit Langem leer, die Touristen machen sich rar. Besuch an einem nicht mehr ganz so heimeligen Ort, der vor 25 Jahren Millionen Deutschen vorübergehend zur zweiten Heimat wurde

Nein, hier kommt gleich nicht Professor Brinkmann um die Ecke, um die Körper und Seelen seiner Patienten zu heilen. Hier wird nicht nach 45 Minuten alles wieder gut sein, so wie es fast jeder Deutsche gewohnt war, der Mitte der 80er-Jahre einen Fernseher besaß. Und dieses fünfgeschossige Haus mit den markanten Spitzgauben ist nicht mehr jenes Postkartenidyll, das Woche für Woche vor einem Millionenpublikum aufgeblättert wurde.

Vor dem Eingangsportal steht Dr. med. Werner Geigges. Das Schild mit dem Schriftzug "Schwarzwaldklinik" hängt noch darüber. "Da", sagt Geigges und zeigt nach rechts, "da haben sie immer die Krankenwagen zur Notaufnahme durchfahren lassen." Das, was früher mal eine Einfahrt war, ist noch zu erahnen. Aus den Rissen und Kratern im Asphalt wuchert Unkraut.

"Es ist ein wunderbares Gebäude. Auch die Patienten haben sich hier immer sehr wohl gefühlt", sagt er sanft. Er ist ein Mann von zarter Gestalt, die Haare wehen. Früher befand sich seine Klinik in diesem Haus, das zu den berühmtesten der Republik gehört. Heute leitet der 57-Jährige die Rehaklinik Glotterbad.

1984 begannen die Dreharbeiten im Glottertal, die "Schwarzwaldklinik" wurde schnell zur erfolgreichsten deutschen TV-Serie. Bis zu 28 Millionen Menschen schauten sonnabends oder sonntags um 19.30 Uhr im ZDF zu. Das war ein Marktanteil von 60 Prozent.

Die Deutschen verehrten Klausjürgen Wussow als Professor Brinkmann. Sie schmachteten mit, als er sich in Schwester Christa (dargestellt von Gaby Dohm) verliebte und sie heiratete. Sie schwärmten für den ungestümen Udo Brinkmann (Sascha Hehn), den Sohn des Klinikchefs, der die Haare immer so gut geföhnt hatte, dass sie ihm nicht einmal beim Cabriofahren durcheinandergerieten. Und die Deutschen konnten herzlich lachen über die resolute Oberschwester Hildegard (Eva Maria Bauer), die Patienten und Mitarbeiter unter ihrer Fuchtel hatte.

Was die meisten jedoch nicht wussten, war, dass in dem Gebäude tatsächlich ein Arzt arbeitete, nur eben nicht Professor Brinkmann, sondern Dr. med. Geigges. Lediglich die Fassade diente als Kulisse für die Serie, dazu wurden Szenen von der Notaufnahme und dem Klinikeingang gedreht. Die restlichen Bilder entstanden in einem Hamburger Studio und an weiteren Drehorten. Aber das war den Menschen letztlich auch egal.

1997 ist Geigges' Klinik ein paar Hundert Meter weiter hinunter in den Ort gezogen, in einen modernen Klinikbau. Bis 2004 fanden im Original noch Familientherapien statt, auch die Mobbing-Hotline Baden-Württemberg nutzte die Räume. Vor fünf Jahren haben sie hier noch einmal einen "Schwarzwaldklinik"-Film gedreht, es war der letzte. Seitdem wird das Gebäude nicht mehr gebraucht.

Neben Geigges steht ein Herr von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Ihr gehört das Haus, das 1915 errichtet wurde und eigentlich Carlsbau heißt. "Man müsste zu viel renovieren", sagt der Mann. Seit zwei Jahren sucht die Rentenversicherung nach einem Käufer. Bislang ohne Erfolg. Was das Gebäude wert ist, will der Mann nicht sagen.

Drinnen riecht es nach altem Holz, etwas muffig. "Sehen Sie", sagt Geigges und streicht liebevoll über eine Schildkrötenfigur, die in das hölzerne Treppengeländer hineingeschnitzt wurde. "Das Gebäude hat einen ungeheuren Charme. Es ist voller Kunst, das ist total durchdeklinierter Jugendstil." Er zeigt im ehemaligen Gesellschaftsraum den Kamin, die Engelsfiguren, die in den verspielten Stuck eingebettet wurden. Hier gab es früher Konzerte und Gesellschaften für die Patienten. Viele von ihnen waren berühmt: Geigges hat Fotos von Ludwig Erhard und vom saudischen König Ibn Saud dabei. Die Heilquellen im Glottertal wurden erstmals 1488 erwähnt, der Ort wurde zum Heilbad für Reiche. 1960 verkaufte die Hamburger Reedersfamilie Wiards das Haus an die Landesversicherungsanstalt Württemberg. Die Rentenversicherung schickte Menschen mit körperlichen und seelischen Erkrankungen ins Glottertal. Und dann kam das Fernsehen.

Geigges erzählt, wie damals Touristen busweise herbeiströmten, um einmal Professor Brinkmann zu sehen. Die Menschen stellten sich auf den Berg, der sich hinter dem Carlsbau erhebt und glotzten mit ihren Ferngläsern auf die Klinik herunter.

Und dann war da eine alte, schwer herzkranke Frau. "Ihr letzter Wunsch war es, von Herrn Professor Brinkmann behandelt zu werden." Ihre Angehörigen taten ihr den Gefallen, fuhren ins Glottertal und setzten sie an der Krankenhauspforte ab. Geigges musste die Frau, die in Lebensgefahr schwebte, notärztlich versorgen und in eine Spezialklinik verlegen lassen. "Die Menschen glaubten auch zu wissen, wie es hier drinnen aussah. Sie behaupteten, dass es hier Operationssäle gibt." Für Operationen am offenen Herzen, für Transplantationen, für alles. Doch im Carlsbau gab es nie einen Operationssaal. Für Geigges' Patienten sei der ganze Rummel sehr belastend gewesen. Für die Mitarbeiter auch: Ein Chefarzt kündigte, weil es ihm zu viel wurde.

In den oberen Stockwerken gehen links und rechts vom Treppenhaus lange Gänge mit den ehemaligen Patientenzimmern weg. Die Räume sind spartanisch eingerichtet: Bett, Bad, Balkon mit Ausblick auf das Glottertal. 35 Zimmer mit Dusche und WC gibt es und viele Büroräume. "Da kann man was draus machen", sagt Geigges und nickt. Die vielen Uhren, die auf den Gängen angebracht sind, gehen alle richtig.

Der Herr von der Rentenversicherung sagt, dass es jetzt an der Zeit sei, die Führung zu beenden. Eigentlich wollte er nur das Kaminzimmer zeigen, die anderen Räumlichkeiten seien nicht so ansehnlich, Investoren könnten durch eine allzu präzise Beschreibung abgeschreckt werden. Doch Geigges ist in seinem Element. Er schwebt in Richtung der ehemaligen Bäderabteilung für Hauptpatienten und zeigt die völlig veralteten Badewannen, die Kalkränder haben und nutzlos sind für Investoren. Der Herr von der Rentenversicherung wird nervös.

"Die Serie hat viel bewirkt", doziert Dr. Geigges. Professor Brinkmann war der Gegenentwurf zur mechanischen Medizin. "Die Patienten wünschten sich Ärzte, die mit ihnen reden." Es tut ihm leid um das Gebäude, das jetzt langsam verkommt. Was jetzt daraus werden soll? Etwas, das sich mit der Klinik unten ergänze, sagt er. Eine Nobel-Seniorenresidenz etwa oder ein Rehazentrum.

Wenn Klausjürgen Wussow in der Region war, dann wohnte er immer im Hotel in Hinterzarten. Die Rolle des Professors Brinkmann hat er, der so gern hatte Arzt werden wollen, genossen. Professor Brinkmann rettet Leben, Professor Brinkmann verliebt sich, Professor Brinkmann streckt einem Armen Geld für die Operation vor, Professor Brinkmann spendet eine Niere. Die Expertisen des Mannes im weißen Kittel waren so furchtbar einleuchtend: "Es juckt und zwickt. Dann heilt's!" Und am Ende wird alles gut.

Wenn Klausjürgen Wussow im Schwarzwald gastierte, dann war er auch häufig bei Rolf-Fritz Schill. Dessen Haus liegt in einer Nebenstraße. Für ein Café eigentlich ein Standort-Nachteil. Doch die Nebenstraße führt zur Schwarzwaldklinik. Und deshalb gab der gelernte Friseur Rolf-Fritz Schill in den 80er-Jahren seinen Job auf und machte das Café und einen Souvenirladen auf.

Wer Schill heute besucht, muss über die "Klausjürgen-Wussow-Brücke" gehen. Das Café sieht aus wie die Schwarzwaldklinik: viel Holz, dunkle Möbel. "Er saß hier", sagt Schill, 62, und schaut triumphierend. An der Wand hängt ein Foto. Wussow im Café Schill. "Das beste Geschäft meines Lebens", sagt Schill und fügt hinzu. "Damals." Erst kamen die Westdeutschen, dann die Schweizer. Als die Sendung in Italien lief, kamen die Italiener, als Frankreich dran war, kamen scharenweise die Bewohner französischer Altenheime hierher. In 38 Ländern wurde die "Schwarzwaldklinik" ausgestrahlt. Nach der Wiedervereinigung fuhren Buskolonnen aus den neuen Bundesländern ins Glottertal. Und an Schill kam keiner vorbei.

Er verkaufte den Menschen T-Shirts, Biergläser, Weingläser, Schnapsgläser mit der Schwarzwaldklinik drauf. Er wurde selbst prominent, die Leute, die in sein Café kamen, sahen ihn als Statthalter der Stars auf Erden. Und er ließ sie in dem Glauben: Einmal fragte ihn eine Frau in verschwörerischem Ton: "Stimmt es, was die Leute sagen? Dass der Herr Professor Brinkmann gar nicht Arzt, sondern Schauspieler ist?" Schill antwortete: "Die Leute reden halt viel."

Heute gibt es in dem 3000-Einwohner-Ort viel zu viele Restaurants, Eiscafés, Pensionen und Hotels. "Ich war der Einzige, der die Werbetrommel gerührt hat", sagt Schill. Er klingt verbittert. Doch zu seinem Ärger gibt es heute keinen Professor-Brinkmann-Weg und keinen Schwarzwaldklinik-Pfad in Glottertal. Die Gemeinde wollte nicht so recht mitziehen. Aber dann war der Ruhm ja auch schnell zu Ende. 1989 wurde der letzte Serienteil ausgestrahlt, es folgten noch ein paar Spezialfilme. 2005 feierten sie den 20. Jahrestag, da kamen Wussow und seine Kollegen noch einmal ins Glottertal. Wussow war körperlich und seelisch bereits gezeichnet. "Er war hier und doch nicht da. Er tat mir leid. Er war ein außergewöhnlich gutmütiger Mensch. Zu gutmütig", sagt Schill. Zur Trauerfeier für Wussow ist er 2007 nach Berlin gefahren, in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche saß er in der zweiten Reihe, sagt er.

Die Sachen aus seinem Souvenirladen will keiner mehr kaufen, deshalb hat er sie nach und nach aus dem Geschäft entfernt. Nur noch die kuriosesten Dinge hat er dagelassen: die Kuckucksuhr, die Glasvitrinen mit dem Krimskrams. Vor ein paar Wochen hat er ein lebensgroßes Bild der Hauptdarsteller an die Wand pinseln lassen. Schließlich ist gerade wieder Jubiläumsjahr: 25 Jahre. Der Produzent von damals, Wolfgang Rademann, hat Schill vage Hoffnungen auf eine Feier in Glottertal gemacht.

Schill ist verbittert darüber, was aus dem Gebäude auf dem Berg geworden ist. "Die da oben", sagt er, hätten überhaupt keine Ahnung. Und der Bürgermeister auch nicht. Die Gemeinde müsste doch einspringen und zusehen, dass aus der Schwarzwaldklinik wieder etwas wird. Etwas, das Rolf-Fritz Schill die Kunden zurückbringt. "Ich geh da oben gar nicht mehr hin", sagt er.

Aber hatte nicht Professor Brinkmann am Ende der letzten Folge mit seiner sonoren Stimme gesagt: "Die Schwarzwaldklinik wird weiterleben. Als ein Ort, wo Menschen für Menschen da sind. Behalten Sie uns in guter Erinnerung."?

Wenn man Fritz-Rolf Schill verlässt, passiert man kurz vor der "Klausjürgen-Wussow-Brücke" einen fleischfarbenen Stein. Ein Gedenkstein. Schill hat sich damals ein Autogramm von Wussow geben lassen, der Steinmetz hat es hochkopiert und in den Stein gefräst. Als gute Erinnerung.