Horst Königstein, Vater des TV-Dokudramas, wird heute beim NDR verabschiedet

Einen Job, wie ihn Horst Königstein hat, gibt es eigentlich nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Er ist der Mann für Sonderprojekte. Wo andere Redakteure Serien, Fernsehspiele, Nachmittagsprogramme verwalten, erfindet Königstein für das NDR-Programm innovative Formen, die in kein Sendeschema passen: bezwingende Dokudramen wie "Das Beil von Wandsbek" und "Die Manns - Ein Jahrhundertroman". Horst Königstein ist ein Kreativer in einer Anstalt. Einer, der schon früh angesteckt war von der Leidenschaft fürs Kino, der Sehnsucht nach einer anderen Welt. Diese Leidenschaft hat er zu seinem Beruf gemacht. Heute verabschiedet der NDR seinen wohl profiliertesten Redakteur nach 40 Dienstjahren. Es wird ein schwerer Abschied. Weil Horst Königstein eine Lücke hinterlässt, die sich so bald nicht schließen wird.

Seinen Nachbarskindern war er einst nicht ganz geheuer. "Was hat Horst schon wieder mit den Kindern gemacht? Dass er sie immer so erschrecken muss!", beklagten sich deren Eltern bei den Königsteins. Wie so oft hatte der Junge auf dem Hinterhof aus seinen Reclam-Heften deklamiert und dabei Hexen und Zauberer so heftig interpretiert, dass das junge Publikum hinterher verängstigt nach Hause floh. Eigentlich ein schöner Beweis für die Intensität und Glaubwürdigkeit des jungen Kreativen, aber eben auch geschäftsschädigend, denn die Königsteins betrieben im Bremen der 50er- und 60er-Jahre einen Lebensmittelladen, und verärgerte Eltern sind keine guten Kunden. Horst Königstein jedenfalls sollte von da an nicht mehr von seinem Hang zu Bildern und Geschichten lassen.

Sitzt man Horst Königstein in seiner Winterhuder Wohnung gegenüber, merkt man: Er redet gern über die Vergangenheit. Die Zeiten, als im Fernsehen noch alles möglich war und niemand auf die Quote schielte. Seine wachen, blitzgescheiten Augen lassen sein Gesicht deutlich jünger wirken als 65. Noch auffälliger ist nur die Nase, die ihm in seinen jungen Jahren den Spitznamen Ringo einbrachte. Auf frühen Fotos erinnert Horst Königstein zwar mehr an eine Hippieausgabe des Philosophen Richard David Precht, aber in der kursierenden Beatles-Mania der damaligen Zeit war Ringo Starr natürlich die naheliegende Option. Und für Popmusik schlug damals schon das königsteinsche Herz. Sein Interesse für das Halbseidene im Leben lag quasi auf dem Schulweg: Er führte an einem Bordell vorbei.

Horst Königstein begann als Schüler bei Radio Bremen, wo er ab 1965 mit dem "Beat Club" für Furore beim jungen Publikum sorgte. Er wurde DJ beim Schulfunk-Wunschkonzert, bekam den Hörfunk-tauglichen Künstlervornamen Ralf und eine 15 Jahre alte Schülerin an die Seite, die später als Leinwandstar bekannt werden sollte: Barbara Sukowa. Die Liste derer, mit denen sich Königstein im Lauf seiner Karriere umgab, sagt einiges aus über seine Affinität und seinen Qualitätsbegriff. Und seine Liebe zu eigenwilligen Künstlern.

Da waren: Udo Lindenberg, dessen Entertainmenttalent Königstein früh erkannte und mit dem er leidenschaftlich gern stritt - Lindenberg wollte es immer etwas gröber, Königstein immer feiner. Lindenberg arbeitete lieber mit viel, Königstein gern mit so wenig Alkohol wie möglich. "Schlaumann trifft Straßenwissenschaftler", hat Lindenberg die ungewöhnliche Symbiose einmal beschrieben. Königstein ging fünf Wochen mit dem britischen Kunstrocker Peter Gabriel in Klausur und schrieb dessen deutsche Songtexte. Von dem jüngst verstorbenen Dennis Hopper erhielt er denkwürdigen Besuch: "Er saß bei mir auf dem Sofa und hat allen Alkohol, den es hier gab, zielsicher entdeckt und ausgetrunken. Dann hat er mich mit einem wahnsinnigen Monolog über sein Leben beschenkt. Danach hatte ich eigentlich keine Fragen mehr."

Es sind keine Stars im populären Sinne, die Horst Königstein interessieren. Es ist "die Spannung zwischen Glamour und Schmutz", der er sich verschrieben hat. Auch in seinen Filmen verstand er es stets, Trash und Nostalgie, intelligenten Klatsch und moderne Legenden, Alltag und Ausnahmezustand zusammenzubringen. "Der Tag, an dem Elvis nach Bremerhaven kam" oder "Nächte mit Joan" über die Hollywood-Diva Joan Crawford heißen zwei der auf Zelluloid gebannten Ergebnisse.

Mit Königstein-Projekten verhält es sich in der Regel so: Sie sind nach herkömmlichen Kriterien eigentlich nicht machbar - und entstehen nach jahrelanger Herzblutarbeit schließlich doch. Sie finden nur mit Ach und Krach einen Sendeplatz - und sind am Ende diejenigen Filme, die Grimme-Preise und die Zuschauerachtung gewinnen. Königstein hat - zusammen mit Regisseur Heinrich Breloer - die bis heute gültigen Maßstäbe für das Dokudrama formuliert (für den "Bastard", wie Breloer es nennt) und immer wieder versucht, "von diesem Leben Geschichten herauszupressen".

Davon wird er sich auch künftig nicht abhalten lassen. Nicht von seiner Krankheit, die die Arbeit an manchen Tagen mühsam macht und von mutlosen Bedenkenträgern schon gar nicht. Den einfachen Weg ist Horst Königstein nie gegangen. Sondern immer genau andersherum, dorthin, wo es schwierig wird und vielleicht auch schmerzhaft. Es ist ein suchendes, ein fragendes Fernsehen, kein allwissendes, für das Horst Königstein steht. Er wird weitersuchen.