Salzburg. Der Himmel war gnädig. Er machte gute Miene zum Spiel vom Sterben des reichen Mannes und beschränkte sich aufs Drohen: malerische Wolkenkulissen über dem nächtlichen Domplatz. Gegen Frösteln wurden babyblaue Fleecedecken verteilt, zum Luxusschnäppchenpreis von drei Euro. Der Salzburger "Jedermann", das ist die bestmögliche Nachricht, hat die vom Nachmittag in den Abend verlegte Premiere trocken überstanden. Für die meisten offenbar Grund genug zum Jubeln. Die Luft sei "übler Art", warnt Jedermann besorgt seine Mutter. In Christian Stückls Inszenierung wird daraus ein "kühler Art", was zumindest aktueller wirkt als das sprachlich ebenso verhatschte Original. Lieber ordentlich gelüftet als schlecht geliftet.

Regisseur Stückl verändert seine "Jedermann"-Produktion seit 2002 regelmäßig in Details. Der wichtigste Eingriff: Der personifizierte Glaube ist weggefallen, mittlerweile kommen die frommen Worte höhnisch verzerrt aus dem Mund des sich an Goethes Mephisto anlehnenden Teufels. Der, obwohl im Recht, hat naturgemäß das Nachsehen, wenn die göttliche Gnadenwalze alles unter sich begräbt. Achtmal ist Peter Simonischek der - somit am längsten dienende - Jedermann gewesen und wuchs tatsächlich in seine Rolle hinein. Jetzt sollte eine Runderneuerung des Ensembles frischen Wind ins betagte Mysterienspiel bringen, dessen hartnäckiger Publikumserfolg mehr Rätsel denn je stellt. Schon vor der Aufführung hatte man das neue Salzburger Traumpaar gekürt: Nicholas Ofczarek und seine Buhlschaft Birgit Minichmayr. Merkwürdigerweise gilt die winzige Partie immer noch als Krönung von Schauspielerinnenkarrieren. Viel außer Busen und Po lässt sich dabei nicht zeigen.

Die Minichmayr, eine Virtuosin ihrer Zunft, scheint als rote Robenträgerin deutlich unterfordert, vielleicht auch, weil sie keinesfalls das "Weibsteuferl" geben wollte. Den sterbenden Geliebten ins Grab zu begleiten lehnt sie schlicht und einfach ab. Eindrucksvoller darf ihr Partner Ofczarek sein großes Talent beweisen: ein Turbo-Jedermann, versoffen und zynisch und ungemein - geradezu tänzerisch - körperbetont. Das Kapitalistenschwein, das den Schuldknecht brutal in die Weichteile tritt, verwandelt sich flugs in eine arme, von Todesangst geplagte Menschensau. Allein die ohnehin unglaubwürdige, sehr plötzliche Läuterung der Figur berührt hier nicht im Geringsten. Ofczarek bleibt Ofczarek bleibt Ofczarek, ob als Ungustl oder reuiger Sünder.

Wahrscheinlich liegt dem Ganzen ein Irrtum zugrunde. Hofmannsthals "Jedermann" hat mit Theater im heutigen Begriff wenig bis gar nichts zu tun. Wer das Stück über die Maßen zu psychologisieren versucht, der beraubt das erhaben verlogene, durch Max Reinhardts Regietradition veredelte Spektakel seines wesentlichsten Elements: der verblüffend wertbeständigen Aura des Rituals und Relikts. Und werden die hofmannsthalschen Knittelverse nicht zelebriert, sondern als reiner Redetext abgeliefert, schmerzt deren Armseligkeit besonders.

Überhaupt führt allzu realistische Sicht leicht auf Abwege: Dann sind die Riederinger Musikantenkinder, die den Spielansager mit einer Miniaturversion des "Jedermann" ersetzen, nicht bloß putzig und ganz allerliebst: Sie lassen, vor erdrückend barocker Kirchenfassade, an katholische Missbrauchsopfer denken. Manchmal ist die Gnade des Himmels eben auch Fluch.