Jones legt mit seinem Album “Praise & Blame“ ein weises Alterswerk vor. Der Frauenheld liefert sich einer höheren Macht aus.

hamburg. In die Entertainment-Tempel von Las Vegas kann er mit solchen Songs nicht. Aber vielleicht hat Tom Jones mit seinen inzwischen 70 Jahren ein Alter erreicht, in dem er die Nase voll davon hat, immer noch den Tiger zu geben, seinen weiblichen Fans die halb entblößte behaarte Brust zu zeigen und darauf zu warten, dass String-Tangas auf die Bühne geschleudert werden. Sein neues Album "Praise & Blame" jedenfalls ist völlig testosteronfrei, an "Sexbomb" denkt niemand, wenn er die elf Nummern hört.

"Praise & Blame", das 39. Studio-Album des walisischen Popsängers, ist ein geradezu weises Alterswerk geworden. Der ewig gut gelaunte Entertainer und Spaßvogel, der charmante Frauenheld liefert sich plötzlich einer übergeordneten Macht aus. Das Innencover der CD zeigt ihn mit geschlossenen Augen und weit geöffneten Armen, so als würde er sein Schicksal in die Hände eines gerechten Gottes legen und sagen: "Herr, richte über mich!"

"Praise & Soul" beginnt mit dem Song "What Good Am I?", den Bob Dylan für sein 1989 erschienenes Album "Oh Mercy" geschrieben hat. Mit Grabesstimme zu den dumpfen Schlägen einer Trommel fragt der Sänger: "Wie gut bin ich?" Diese Selbstreflexion zu Beginn des Albums gibt das Thema vor, das in ähnlicher Art und Weise noch zehnmal behandelt wird, als Coverversion, aber auch mit Songs, die Tom Jones zusammen mit seinem Produzenten Ethan Johns geschrieben hat.

Auch die Blues-Legende John Lee Hooker hat Tom Jones sich vorgenommen, dessen Blues "Burning Hell" er interpretiert. "Wenn ich sterbe, wohin wird mein Weg mich führen?" hat Hooker geschrieben, eine Frage, die auch Tom Jones sich stellen muss. Er denkt über den Tod nach und auch darüber, ob er wohl für sein Leben und seine Kunst in den Himmel aufsteigen wird oder in der Hölle schmoren muss. Wohin wird die Reise gehen, wenn er am Kreuzweg steht?

Mit der letzten Nummer "Run On", die er mit Ethan Johns geschrieben hat, bezieht er sich musikalisch noch einmal auf John Lee Hooker, "Run On" ist ein rollender Boogie mit einem sich ständig wiederholenden Gitarrenriff, wie es das Markenzeichen der Blues-Legende war. Auch in dieser Nummer erkennt Jones eine göttliche Allmacht an, die all die Spieler, Lügner und Schwerenöter ihrer gerechten Strafe zuführen wird.

"Praise & Blame" klingt durch und durch amerikanisch, obwohl es im englischen Seebad Bath aufgenommen worden ist. Tom Jones, der mit schmissigen Pophits wie "Delilah", "What's New Pussycat?" und "Help Yourself" in den 60er-Jahren berühmt wurde, taucht zum ersten Mal in seiner langen Karriere in die nachtschwarze Welt des Blues ein. Er bedient sich in "Ain't No Grave" beim Gospel, auch ein Banjo und ein paar Country-Elemente gibt es auf diesem Werk. Zu den Studiomusikern gehörten in der Tat ein paar US-Koryphäen wie der Steel-Gitarrist BJ Cole oder der Organist Booker T. Jones, der in den 60ern an Dutzenden von Soul-Aufnahmen mit Otis Redding und anderen Memphis-Künstlern beteiligt war.

Tom Jones ist jetzt dort angekommen, wo es Johnny Cash zum Ende seines Lebens hinverschlagen hatte, als der Produzent Rick Rubin dem Country-Sänger noch einmal ein riesiges Comeback verschaffte, indem er die Stimme von Cash in den Mittelpunkt stellte. Ethan Johns, der in der Vergangenheit unter anderem mit den Kings Of Leon gearbeitet hat, macht mit Tom Jones' Bariton genau dasselbe.

"Meine Stimme sollte im Zentrum stehen, ohne Overdubs oder irgendwelchen Firlefanz", sagt Tom Jones selber über "Praise & Blame". Man darf gespannt sein, ob der Tiger mit diesem Programm auf Tournee gehen wird. Als Blues-Sänger mit einer normalen Band ohne aufwendige Streicher- und Bläserarrangements. Quasi im Büßerhemd. Könnte sein, dass er sein feierwütiges Publikum mit dieser neuen Rolle verschreckt und verprellt. Aber "Praise & Blame" könnte Zuhörer anlocken, die sich bisher nicht die Bohne um Tom Jones geschert haben, sondern die Nick Cave und Leonard Cohen zu ihren Lieblingen zählen. Das ist eine weitere Qualität von "Praise & Blame": Sünde, Tod und Teufel haben eben ihren eigenen Reiz.

Tom Jones: Praise & Blame (Island/Universal)