Mit Filmen von YouTube-Nutzern drehen die Regisseure Ridley Scott und Kevin Macdonald “Das Leben in einem Tag“, ein Selbstporträt der Welt.

Hamburg. Er hat Aliens, Replikanten und Gladiatoren in Szene gesetzt, nun versucht es der berühmte Regisseur Ridley Scott ("Gladiator") zum ersten Mal mit Menschen als Protagonisten. "Ich bin Filmemacher, kein Dokumentarfilmer. Ich versuche die Wahrheit zu erschüttern oder zu umgehen", wurde er oft zitiert. Doch für diesen Sonnabend hat er sich zusammen mit Oscar-Preisträger Kevin Macdonald ("Der letzte König von Schottland") nichts Geringeres vorgenommen, als den umfassendsten Dokumentarfilm aller Zeiten zu drehen, ein Selbstporträt der Welt. Wie ist es, am 24. Juli 2010 zu leben? Titel des Projekts: "Das Leben in einem Tag".

Gedreht werden mehrere Hundert Stunden, trotzdem wird es der günstigste Film sein, den die beiden Hollywood-Regisseure je gemacht haben. Denn "Das Leben in einem Tag" ist ein historisch-globales Experiment. An jedem Ort der Welt, von 0.01 Uhr bis 23.59 Uhr, sollen Menschen Szenen aus ihrem Leben filmen und diese dann ins Internet stellen. Kevin Macdonald will die Filmschnipsel sichten und zu einer Dokumentation zusammenschneiden. Jeder kann mitmachen. Jeder muss mitmachen, sagt Ridley Scott. "Es gibt keine Entschuldigung, macht es einfach!", ruft er in die Kamera. Mehr als 360 000 Menschen haben seinen Appell auf der Internetplattform YouTube schon gesehen, wie viele mitmachen werden, wird sich bis zum 31. Juli zeigen, dann beginnt Kevin Macdonald in London mit dem Sichten des Materials.

Im offenen Jeanshemd und mit Drei-Tage-Bart erklärt der Hollywood-Regisseur in einem YouTube-Video, wie er sich die Zusammenarbeit mit Tausenden Koregisseuren vorstellt. Gefilmt werden darf grundsätzlich alles. "Das kann der Weg zur Arbeit sein, der Besuch eines Freundes im Krankenhaus, der eigene Geburtstag oder ein Spaziergang", so Macdonald. Ridley Scott nennt die einzige Bedingung: "Es muss persönlich sein."

Jeder Film solle etwas Spezifisches über individuelles Leben aussagen. Damit Macdonald die Filmschnipsel aneinanderfügen kann, will er in den Videos thematische oder zeitliche Verbindungen suchen. Zwei Mütter, die ihre Babys baden, die eine in einem Zuber in Afrika, die andere in einer Badewanne in Deutschland, ein Fußball, der hier eine Blechdose ist, dort ein polierter Lederball, ein Sonnenaufgang im Smog von Sao Paulo, ein Sonnenuntergang im Central Park. Macdonald weiß nicht, was ihm die Menschen schicken werden, aber er ist sich sicher, dass die Filmausschnitte eines nicht sein werden: langweilig. "Das Leben echter Menschen ist doch immer noch das Außergewöhnlichste, was wir uns vorstellen können", sagt Macdonald.

Mit "Das Leben in einem Tag" kehrt der Regisseur auch zu seinen Wurzeln, dem Genre des Dokumentarfilms, zurück. Im Jahr 2000 gewann er für die Dokumentation "Ein Tag im September" einen Oscar, seit einigen Jahren drehte er nur noch Spielfilme. Das neue Projekt hat Macdonald auf Anregung von YouTube entwickelt, zusammen mit Ridley Scott. Das Vorhaben sei rein künstlerisch inspiriert, sagte Macdonald der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Wir verfolgen keinerlei kommerzielle Ziele und erwarten keinen Kassenerfolg."

Seine Premiere soll der Film Ende Januar auf dem renommierten Sundance Film Festival im US-Bundesstaat Utah feiern. Auf dem begannen schon Quentin Tarantino und Jim Jarmusch ihre Karrieren. Auch für einige Koregisseure von "Das Leben in einem Tag" könnte das Festival ihr Leben verändern. Scott und Macdonald wollen nämlich die Filmemacher der 20 besten Einsendungen nach Utah einladen. Für John Cooper, Direktor des Sundance Film Festivals, ist "Das Leben in einem Tag" auch ein Risikofaktor, wie er auf YouTube erklärt. Noch nie wurde ein Film schon vor seiner Entstehung für die Teilnahme nominiert.

Den 24. Juli haben Scott und Macdonald bewusst als Termin für das Selbstporträt der Welt gewählt. Im Englischen steht die Zahlenkombination 24/7 für Öffnungszeiten rund um die Uhr. Zudem hätten die Menschen an einem Sonnabend mehr Zeit für eine solche Aktion als an anderen Wochentagen, hofft Macdonald.

Sein großes Ziel ist es, dass sein Porträt der Welt auch wirklich ein Porträt der Welt und nicht nur der Menschen mit Videokamera und Internetzugang wird. Deshalb lässt er über lokal organisierte Hilfsorganisationen in mehreren afrikanischen Staaten und Ländern wie Papua-Neuguinea und Bolivien fünfhundert Digitalkameras verteilen. Die Filmemacher müssen die Kameras nach dem Dreh zurückgegeben, damit möglichst viele Menschen filmen können. Die Speicherchips werden von den Helfern dann nach London geschickt. Jeder, dessen Filmschnipsel in "Das Leben in einem Tag" verwendet wird, taucht namentlich als Koregisseur im Abspann auf. "Wenn man dann in der Zukunft den Film sieht, wird man wie in einer Zeitkapsel darüber informiert, wie es war, am 24. Juli 2010 zu leben", sagt Macdonald.