Valery Gergiev und Elina Garanca beim SHMF-Konzert in der Laeiszhalle

Hamburg. Von Valery Gergievs international berüchtigtem Arbeitswahn, die zu seinen wildesten Vielfliegerzeiten alles Karajanige weit hinter sich ließ, kann man halten, was man will. Eines jedoch muss man ihm lassen: Der Mann erkennt und verwöhnt tolle Stimmen, wenn er sie hört, und auch als Dirigent schmissigen Repertoires mit vor allem spätromantischen russischen Vorzeichen kann ihm so schnell niemand das Wasser reichen.

Für das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) kam er mit seinem St. Petersburger Mariinsky-Orchester in die Hamburger Laeiszhalle. Das Programm hatte allerdings rein gar nichts mit dem 2010er-Schwerpunkt Polen zu tun, es war vielmehr darauf ausgelegt, den früheren Turbo-Maestro und seinen Stargast Elina Garanca ins rechte Tourneelicht zu rücken.

Einige Wochen, bevor sich die Lettin auf eigene Rechnung und mit frischem Album als Carmen fatale in der Laeiszhalle präsentieren will, stand hier Berlioz' feingesponnener Orchesterliederzyklus "Les nuits d'été" auf dem Festivalprogramm. Repertoire, das für ihren samtig-strahlenden Mezzo wie geschaffen schien. Denn hier konnte sie sich die raffinierten, inbrünstig geschwungenen Melodielinien erobern und gefügig machen. Es sang eine Frau im vollsten, stolzen Bewusstsein ihrer Sinnlichkeit.

Diese Musik, Berlioz vom Erlesensten, ist auch Kammermusik im Cinemascope-Format, eigentlich möchte sie an vielen Stellen kaum gehört werden können, eigentlich eine paradoxe Angelegenheit. Doch Garancas Charakterzeichnung traute sich auch zur großen Geste, zum grandiosen Aufbäumen, Vergehen und Verzweifeln. Dass diese Leidenschaft stets auch ein wenig wie on the rocks serviert daherkam, tat der Faszination keinen Abbruch. Man hing gebannt an ihren Lippen und bedauerte, dass Berlioz hier, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, nur so wenig davon komponiert hat.

Und Gergiev? Der hielt seine Russen bei dem Gourmet-Stück gut und mit überaus dezenten Gesten sehr in der Nähe der Ideallinie; er gönnte der Gestalterin klar den Vortritt, bettete sie ein ins Erzählgeschehen ihrer Texte. Geradezu minimalistisch gab sich Gergiev beim Eröffnungsschmankerl, den 1963 komponierten "Frechen Orchesterscherzen" von Schtschedrin. Musik, die mit ihren putzigen Anspielungen an West-Jazz wie eine unzensiert gebliebene Ladung Schmuggelgut aus dem kapitalistischen Westen wirkte und die Gergiev so geschickt nicht dirigierte, dass man über die Brillanz des Resultats nur staunen konnte.

Die gut dosierten Show-Einlagen hatte sich Gergiev für den großen Ran- und Rausschmeißer in der zweiten Hälfte aufgehoben, Rachmaninows "Sinfonische Tänze". Natürlich ein Heimspiel für ihn und sein Orchester. Genosse Autopilot hätte auch allein zum Schlussakkord gefunden, doch Gergiev schaffte das Kunststück, das Stück so frisch zu präsentieren, als hätte er es gerade für sich entdeckt.