Alain Sulzers neues Buch “Zur falschen Zeit“ ist ein kluger, vielschichtiger Roman, dessen Figuren man lange in Erinnerung behält.

Acht Bücher, Romane und Erzählungen hat der 56 Jahre alte Schweizer Autor Alain Claude Sulzer seit 1983 veröffentlicht. Es sind zumeist stille Geschichten über Menschen, die traurig, gehemmt und im Abseits sind. Und doch glüht hinter diesen ganz durchschnittlichen Helden ein Funke, der nur darauf wartet, entzündet zu werden.

Das ist auch in Sulzers neuem Roman "Zur falschen Zeit" so, der von solch einer emotionalen Gefangenschaft erzählt. Die Geschichte handelt eigentlich von einem 17-jährigen Jungen, der seinen Vater nicht kennt.

Sein Leben lang hat er ein Foto seines Vaters kaum beachtet, das im Regal in seinem Zimmer steht. Da entdeckt er die Uhr am Handgelenk des Vaters, die ihn aus unerfindlichen Gründen interessiert und sogar dazu bringt, ohne die Mutter oder den Stiefvater einzuweihen, nach Paris durchzubrennen. Dort stößt er auf die sorgsam verborgen gehaltene Vergangenheit seines Vaters.

Und so erzählt Sulzer in Wahrheit weniger die Geschichte des Sohnes, der erstaunlich distanziert auch seiner Mutter gegenüber lebt. Sondern er schildert das Leben des Vaters als junger Mann, der erkennen muss, dass er so nicht leben kann, wie er leben möchte. Dass er Geheimnisse braucht, seine Frau hintergehen muss und doch nicht überleben wird. Wie sehr er sich auch wünscht, so zu sein wie alle anderen, so liebt er es auch, anders zu sein, lebhafter, leidenschaftlicher, lebendiger. Sulzer erzählt das alles behutsam und sich langsam steigernd. Er beschreibt das formvollendete, gesittete Familienleben in der Schweiz, das doch so kalt und lieblos ist, so ohne Höhepunkte. Er zeigt, wie der Sohn sich, ohne zu rebellieren, daraus befreien kann. Und wie es für den Vater unmöglich war, in dieser Atmosphäre weiterzuleben.

Ganz sicher hat es der Sohn einfacher, weil der Vater eben "zur falschen Zeit" lebte, wie der Titel des Buches sagt. Am Ende seiner Suche ist der junge Held erwachsen geworden. Ein vielschichtiger, kluger Roman, der seine Kraft langsam entfaltet, dessen Figuren man darum aber umso stärker in Erinnerung behält.

Alain Claude Sulzer , "Zur falschen Zeit", Verlag Galiani, 230 S., 18,95 Euro