Zum 40. Todestag von Janis Joplin widmet Arte der tragischen Figur der Hippiebewegung heute eine Dokumentation. Berühmt war sie, aber das hat sie nicht vor dem frühen Tod bewahrt.

Hamburg. Es begann mit einer Fußfessel. Nicht mit so einem neumodischen elektronischen Ding, das Roman Polanski gerade ein paar Monate lang in seiner Bewegungsfreiheit einschränkte. Nein, "ball and chain" bezeichnet eine schwere Eisenkugel, die mit einer soliden Eisenkette am Unterschenkel befestigt wird. Amerikanische Strafgefangene wurden früher so daran gehindert, auszubrechen, wenn sie Feldarbeit leisten mussten. "Ball and chain" ist auch ein Thema, das immer wieder in Blues-Songs der Afro-Amerikaner besungen wird, denn die wurden in der Mehrzahl zu den Frondiensten auf den Baumwollfeldern herangezogen. Die bekannteste Version stammt von der schwarzen Sängerin Big Mama Thornton, doch berühmt gemacht hat Janis Joplin das Lied.

Im Juni 1967 macht die weiße Sängerin beim Monterey Pop Festival aus diesem Song einen neunminütigen Aufschrei der Verzweiflung. Sie fleht und kreischt, sie stottert und schreit, sie flüstert und kotzt den Text heraus, dass dem Auditorium der Atem stockt. Jedem ist klar, dass hier gerade ein neuer Star geboren wird.

Auf der Bühne steht ein Derwisch, der den Blues in sich fühlt, obwohl er nicht schwarz ist. Big Brother And The Holding Company, so heißt Janis' erste Gruppe, stellt bei diesem ersten großen Festival alle anderen Bands in den Schatten, die damals dabei sind: The Who, The Jimi Hendrix Experience, Jefferson Airplane, Grateful Dead, The Byrds. Doch der Ruhm des Mädchens aus der texanischen Provinz ist nur von kurzer Dauer: Am 4. Oktober 1970 stirbt Janis Joplin im Alter von 27 Jahren an einer Überdosis Heroin.

Das Jahr 1967 ist als "Summer of Love" in die Popgeschichte eingegangen. Es war die Hochphase der Hippiebewegung mit San Francisco als Zentrum. Die Beatles veröffentlichten in dem Jahr ihr psychedelisches Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", die Doors gaben skandalumwitterte Konzerte, LSD wurde zur Modedroge. "Summer of the Sixties" hat der TV-Sender Arte eine Reihe mit Filmen und Dokumentationen genannt, in der die 60er-Jahre in ihren verschiedenen Facetten beleuchtet werden.

Auch Janis Joplins Leben wird in einer 52-minütigen Dokumentation mit dem Titel "Janis Joplin - Ein Blick hinter die Legende" von Ray Müller gewürdigt. Anders als bei der zur Zeit im Kino laufenden Doors-Dokumentation von Tom DiCillo, die ausschließlich Originalaufnahmen verwendet, hat Müller Verwandte und Bandkollegen der Sängerin befragt, um ein möglichst genaues Bild jener wilden Zeit und seiner Protagonistin festhalten zu können.

Ihre jüngere Schwester Laura beschreibt Janis als einen Freigeist, der ein anderes Wertesystem besaß als die reaktionären Bürger der texanischen Kleinstadt Port Arthur, in der sie geboren wurde und aufwuchs. Janis kommt sich jedoch auch wie das "hässliche Entlein" vor. Sie ist keine Schönheit, Pickel machen ihr zu schaffen. Als sie in Austin Soziologie studiert, nominieren zynische Witzbolde sie bei der Wahl zum "hässlichsten Jungen der Universität". Texas ist nicht der richtige Ort für sie.

Nachdem sie bereits 1960 nach Kalifornien gegangen war, aber zwei Jahre später mit massiven Drogenproblemen nach Hause zurückgekehrte, macht sie sich 1966 wieder nach San Francisco auf. Die Stadt des Flower-Power, dieser Schmelztiegel aus Kunst, Drogen, Musik, Literatur und Protestbewegung, erscheint ihr ein besserer Ort für ihren persönlichen Kampf um Liebe und Anerkennung. Außerdem lockt das Angebot, für Big Brother & The Holding Company singen zu können. Doch der Triumph des "Ball And Chain" ist der Anfang vom Ende. Zwei Alben bringt die Band heraus. Plötzlich reißen sich Plattenfirmen und Manager um diesen neuen weiblichen Rockstar. 1968 verlässt Janis Big Brother und startet ihre Solokarriere. Doch als Bandleaderin taugt sie trotz ihrer unbändigen Energie nicht. Ihre Einsamkeit versucht sie mit Drogen, Alkohol und Affären zu bekämpfen, die nie länger als zwei Wochen dauern. Ihre Kozmic Blues Band ist nur ein halbprofessioneller Hippiehaufen, den sie genauso wenig unter Kontrolle hat wie sich selbst. Der Auftritt in Woodstock wird zum Desaster, weil sie völlig betrunken ist und ihre Stimme oft bricht.

Mit neuer Energie startet sie 1970 ihre dritte Band namens Full Tilt Boogie. Janis arbeitet an einem neuen Album, es geht wieder aufwärts. Die Band ist in Los Angeles im Studio und arbeitet hart. Janis wird nicht gebraucht und fährt in ihrem bunten Porsche ins Landmark Motel. Sie langweilt sich, sie ist allein, sie setzt sich den "goldenen Schuss", weil das Heroin zu rein und die Dosierung zu hoch ist. Ihr Roadmanager findet sie am 4. Oktober 1970 tot auf dem Fußboden des Appartements, mit frischen Einstichen, blutigen Lippen und vier Dollar in der Hand. Ihr Ruhm hat sie nicht vor dem frühen Tod bewahrt, die Einsamkeit wurde ihr zum Verhängnis.

Janis Joplin - Ein Blick hinter die Legende, Dokumentation von Ray Müller, Arte, heute 23.35 Uhr