Yasmina Khadra schreibt über “Die Schuld des Tages an die Nacht“ , ein Roman über Algerien

Algerien ist eine der schlecht verheilenden Wunden Frankreichs. Die denkbare Symbiose von Orient und Okzident wurde in diesem nordafrikanischen Land wohl am gründlichsten verspielt. Ein blutiger Unabhängigkeitskrieg hat vieles vergiftet, was sich hätte verbrüdern können. Einer der besten Kronzeugen dieser traurigen Geschichte ist Mohammed Moulessehoul, der unter seinem nom de plume Yasmina Khadra auch dem deutschen Publikum bestens bekannt ist, vor allem durch seine Kriminalromane. Jetzt hat er unter dem Titel "Die Schuld des Tages an die Nacht" den Roman der Generation geschrieben, die die Befreiung Algeriens von der französischen Fremdherrschaft erlebt und erkämpft oder - auf der anderen Seite - erlitten hat und das Land verlassen musste.

Jonas, der als "Younes" in äußerst prekären Verhältnissen einer verarmten algerischen Familie geboren wurde, ist der Handlungsträger. Er hat das Glück, bei entfernten Verwandten in einer gemischt algerisch-französischen Familie aufzuwachsen, den Beruf eines Apothekers erlernen zu können, Bildung zu erlangen, Toleranz zu entwickeln und Zugang zu beiden Teilen der vorrevolutionären Bevölkerung in Algerien haben zu können. Seine große Liebe wird Émilie, deren flehentliches Werben um ihn er aus falscher Treue zu einem Versprechen gegenüber ihrer Mutter zurückweist. Erst 50 Jahre später, aus Anlass ihres Todes, trifft er in Aix-en-Provence ihre Familie und einen Teil seiner Jugendfreunde wieder. Es ist ein Wiedersehen der Sehnsucht, der Trauer über verpasste Gelegenheiten und von der Politik verspielte Chancen. Yasmina Khadra schreibt davon mit seinem orientalischen Gespür für die Worte und Szenen, die das Sentiment des Lesers bedienen. Sie passen zu der Landschaft von Oran, zu den Gerüchen dieser großen Stadt, von der auch Camus nicht lassen konnte, sie passen zu der Tragik der blutigen Auseinandersetzung, der keine Versöhnung, der aber auf der Ebene des Privaten im Roman die Vereinigung in der Sehnsucht folgte.

Dazwischen liegen die Jugend und das Erwachsenwerden von Jonas, seine wunderbare Freundschaft mit drei "Europäern", von denen einer Jude war, seine nicht immer glücklichen Liebesgeschichten und ein paar realistische, trotzdem gegenüber der historischen Wirklichkeit eher entschärfte Szenen aus dem Befreiungskrieg.

Sein Roman bleibt wohl auf lange Zeit das Buch über Algerien. Wenn es in Frankreich eine gespaltene Aufnahme gefunden hat, dann liegt das an den Wunden, die das kaum verarbeitete Thema Algerien dort hinterlassen hat.

Yasmina Khadra: Die Schuld des Tages an die Nacht. Übers. von Regina Keil-Sagawe. Ullstein Verlag. 413 Seiten, 19,95 Euro