Annette Pehnts Prosa zeichnet sich nicht durch überbordende Metaphorik aus. In reduziertem Duktus inspiziert sie das Innenleben von Figuren, die oftmals in den Randbezirken der Gesellschaft leben. Ihre Erzählungen handeln von emotionalen und körperlichen Verletzungen. Sechs Geschichten versammelt dieser Band, sechs Geschichten, die vereinsamte Figuren ins Zentrum rücken. So lernen wir eine Zugbegleiterin kennen, die ganz in ihrer Tätigkeit aufgeht und sich aufgrund dieser (Über-)Identifikation in Fantasien hineinsteigert. Oder ein Geschwisterpaar, das seiner sterbenden Mutter beistehen möchte und mit dieser Rolle nicht zurechtkommt: "Wir brauchen Beistand, wir brauchen unsere Mutter, damit sie uns beisteht, das hat sie immer gemacht."

Worauf sich Annette Pehnts Blick richtet - fast immer treten Menschen ins Blickfeld, die überfordert sind. Ob es der Tod der Mutter ist, ob es um geplatzte Urlaubsreisen oder um eine Schönheitsbehandlung in Singapur geht - nie wissen die von Schicksalsschlägen ereilten Protagonisten wohin mit ihrem Leid.

Annette Pehnt baut einfache Sätze, um diese Grenzerfahrungen wiederzugeben; sie wechselt behutsam die Perspektiven und schafft eine kalkuliert kühle Atmosphäre. Herausragend im neuen Band sind die beiden letzten Texte: In "Wünschen darf man sich alles" beschreibt sie Kinder in einem Behindertenheim, mit minutiösem Blick für Gruppenabläufe, Gehässigkeiten und Liebesbekundungen. In der Schlusserzählung "Georg", die Mitte der Sechzigerjahre einsetzt, präsentiert Pehnt ein Paar, das die verunglückte Geburt seines Sohnes nicht zur Ruhe kommen lässt. Das Kind droht zu verkümmern, die Mutter verwahrlost, und der Vater lässt sich mit einer Kollegin ein, mit der er im Materialkeller wortlosen Sex ausübt - bis sie schwanger wird. Beide Geschichten zeigen Annette Pehnt auf der Höhe ihrer spröde wirkenden und doch ungemein präzisen Erzählkunst. Viele deutschsprachige Autoren, die sich damit messen können, gibt es nicht.

Annette Pehnt: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern. Erzählungen. Piper Verlag, 186 Seiten, 16,95 Euro

In "Aufgeblättert" stellen im Wechsel Rainer Moritz, Annemarie Stoltenberg (NDR) und Wilfried Weber (Buchhandlung Felix Jud) ihre Buchtipps vor