Kurz, knackig und komisch erzählt die “Weltliteratur für Eilige“ Wichtiges nach

Hamburg. Kennen Sie das auch? Jemand versucht ein wenig Smalltalk mit Ihnen auf einer Party und erkundigt sich, ob Sie ein bestimmtes Buch gelesen haben. Beispielsweise Garcia Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" oder Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Und Sie finden es peinlich zu antworten: "Nein, das kenne ich nicht." Denn schließlich handelt es sich bei beiden um Weltliteratur. Und dann verheddern Sie sich in Aussagen über diesen Roman, den Sie nur vom Hörensagen kennen. Oder Sie stimmen Ihrem Gegenüber mit einer nichtssagenden Antwort wie "Ja, das finde ich auch" zu. Und nicken ständig freundlich, obwohl Sie gar nicht wissen, ob das, was über das Buch gesagt wird, richtig oder falsch ist. Peinlich wird's eigentlich erst dann.

Wenn Sie nichts von Shakespeare kennen, können Sie sich im Theater wenigstens die Komödie "Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)" anschauen, in der alle 37 Stücke des englischen Dramatikers, für die man normalerweise mindestens 120 Stunden im Theater absitzen müsste, in 90 Minuten durcherzählt werden.

Für die Romanliteratur gibt es nun etwas Ähnliches. Was noch schöner ist: Man schafft Henrik Langes "Weltliteratur für Eilige", in der 90 Werke aus dem Kanon der Bildungsbürger in jeweils vier Bildern zusammengefasst sind, in noch kürzerer Zeit. Und wird dabei auch noch unterhalten.

Thomas Manns "Tod in Venedig", Patrick Süskinds "Das Parfüm" oder auch "Die Klavierspielerin" von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek - jeder Roman besteht aus vier Zeichnungen und ein paar daneben gekritzelten Sätzen, und fertig ist die Nacherzählung des Werks. Kurz, knackig und komisch sind die Quintessenzen. Und wirklich auf den Punkt gebracht.

Der "Tod in Venedig" etwa zeigt hier einen müden und leeren Gustav von Aschenbach, der nach Venedig fährt, sich dort in einen Jungen verliebt und dann stirbt. Zugegeben, das ist arg reduziert, aber es gibt sicher Leser dieses Romans, die sich auch nach der Lektüre des 80-Seiten-Werks an nicht viel mehr erinnern. "Das Parfum", das man ja immerhin in Kurzform als Film hätte konsumieren können, wird hier als Bildergeschichte des kleinen Grenouille erzählt, der keinen eigenen Körpergeruch, dafür aber den perfekten Geruchssinn hat. "Er lässt sich zum Pafümeur ausbilden. Später beginnt er Frauen umzubringen, um ihren Geruch für Parfums zu gewinnen." Ja, genau, so ging doch die Geschichte, die in einem der meistverkauften Romane der letzten Jahrzehnte erzählt wird. Wie unangenehm, wenn man da so gar nicht mitreden könnte!

Cervantes' "Don Quijote", weit über 1000 Seiten dick und gelegentlich zum wichtigsten Roman der Weltliteratur gewählt, wird hier, mit einem Text über den Zeichnungen, etwa so zusammengefasst: "Damals, als es noch kein Fernsehen gab: Don Quijote liest zu viel und wird wunderlich." Über der zweiten Zeichnung steht: "Er greift Windmühlen an, die er für Riesen hält. Und sogar sein Pferd meint, er sei verrückt." Um dann schon zum Schluss zu kommen: "Am Ende denkt er, die Zeiten sind nicht für Helden gemacht, und reitet nach Hause. Sein Pferd dankt Gott dafür. Die Windmühlen auch."

Wer das Buch kennt, denkt: Stimmt, darum geht's eigentlich. Und wer es nicht kennt, weiß nun ansatzweise, wovon die Rede ist. Wenn auch nur in homöopathischer Dosis. Wie viele Menschen gibt es schon, die gehaltvoll über Dostojewskis "Schuld und Sühne" diskutieren können? Und da es sicher zu wenige sind, wäre ein Blick in dieses Büchlein ein Anfang. Mag sein, das manch einer "Dracula" schon kennt. Oder auch "Das Boot" und den "Da Vinci Code". Aber James Joyce' ganzen "Ulysses"? Emile Zolas "Thérèse Raquin"? Und Bulgakovs "Der Meister und Margarita"? Selbst Hardcore-Literatur-Aficionados gestehen sich gelegentlich ein, dass sie keines dieser Bücher je zu Ende gelesen haben. Wobei das wohl mit Abstand am seltensten zu Ende gelesene Buch, Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften", sogar in diesem kleinen Kompendium fehlt. Vielleicht war's auch dem Autor zu mühsam, das 2100 Seiten lange Fragment (!), das gern hochtrabend als "einer der einflussreichsten Romane des 20. Jahrhunderts" bezeichnet wird, zu lesen.

Zugegeben, der Raum für die Nacherzählungen ist hier knapper als ein Klappentext oder alles, was man in einem Literaturführer findet. Dafür ist es lustiger. Und man bekommt gleich 90 Werke auf einmal in komprimierter Form, die Lust aufs Lesen machen. Jedenfalls kann man nach dieser Lektüre zu sehr später Stunde auf jeder Party den Schlaumeier geben, wenn's um Dickens' "Oliver Twist", Hesses "Steppenwolf" oder Homers "Odyssee" geht. Zumindest für die Dauer einer Minute.

Henrik Lange: Weltliteratur für Eilige, Knaur Verlag, 7,95 Euro