Die Vielfalt des polnischen Komponisten Witold Lutoslawski im Bucerius-Kunst-Forum

Hamburg. Mit sieben denkbar unterschiedlichen Werken aus fünf Jahrzehnten porträtierten das Minguet Quartett und die Pianistin Ulrike Payer im Bucerius-Kunst-Forum den Komponisten Witold Lutoslawski (1913-1994). Das chronologisch erste Werk des Großmeisters der polnischen Avantgarde war eine Klaviersonate von 1934. Dieser Sonate nach zu urteilen muss Lutoslawski bereits mit 21 Jahren ein hervorragender Musiker gewesen sein, der sich bei Debussy alle erdenklichen Kunstgriffe abgeschaut hatte - nur dessen feinfühlige, träumerische Versonnenheit nicht.

Schon hier war Lutoslawskis Sinn für zupackende Steigerungsdramaturgien und planvoll disponierte Großformen zu spüren, zu der die geliehenen Vokabeln aus der lasziv-sinnlichen Klangrede des Franzosen nicht immer passen wollten. Von der pianistischen Opulenz der Sonate führte der Weg zum lakonischen Folklorismus der "Bukolika" und "Volksmelodien" aus den 1940er- und 50er-Jahren sowie zu den "Drei Stücken für die Jugend". Abgesehen von der Lust an der eigenen Virtuosität, wie sie in der "Vierfingerübung" für eine offenbar hoch begabte Jugend aufblitzte, sprach aus den Werken dieser Periode vor allem die typische Nüchternheit und Sachlichkeit des ehemaligen Mathematikstudenten.

Ulrike Payer interpretierte sowohl den jugendlichen, impressionistischen Überschwang als auch den kargen Volkston des 40-Jährigen gewohnt souverän, wenn auch ohne die letzte Inbrunst. Wobei die Akustik des Forums, die leise Töne kaum zulässt und laute beinahe schmerzhaft werden lässt, es gerade Pianisten nicht leicht macht.

Einen gemeinsamen Nenner für die unterschiedlichen Schaffensphasen herauszuhören fiel an diesem Abend schwer. Am deutlichsten stach noch Lutoslawskis Hang zu gedanklicher und formaler Klarheit ins Ohr, der auch die Sacher-Variationen von 1975 und die späte, an barocke Vorbilder angelehnte Partita von 1984 auszeichnet. In diesen Paradestücken für Cello solo bzw. Violine und Klavier konnten Minguet-Cellist Matthias Diener und Primarius Ulrich Isfort auch als Solisten überzeugen.

Klar und strukturiert war schließlich selbst Lutoslawskis wildestes Werk, das mit gelenkter Improvisation operierende Streichquartett von 1964. Doch hier kam jener Überschuss an Unvorhersehbarkeit und Lebendigkeit hinzu, der aus sehr guter Musik große Musik macht. Vom einleitenden Dialog vierer vernünftiger Menschen über das chaotische Stimmengewirr außer Rand und Band geratener Streithähne bis zum harmonieseligen Choral ackerten, hackten, strichen und streichelten sich die Musiker des Minguet Quartetts durch das Feld der Möglichkeiten, das Lutoslawskis Quartett eröffnete.

Das war um einiges anstrengender und herausfordernder als der aufgeräumte Folklorismus des frühen und der souveräne Klassizismus des späten Lutoslawski, doch eben deshalb umso packender.