Mit Günter Behnisch starb der Architekt, dessen Entwürfe nach den Trümmerjahren ein deutsches Gegenbild prägten

Berlin. Es wird wenige Architekten geben, bei denen Wesensart und Berufung so weit auseinanderklafften wie bei Günter Behnisch. Dieser immer lässig und nonchalant auftretende Mann schien jeder Festlegung, jedem Ordnungspathos so fern zu sein, dass man sich schwer vorstellen mochte, wie er mit "Immobilien", den unbeweglichen Dingen, zu tun haben und Häuser bauen könnte. Am Montag ist Behnisch, der das Bild des neuen (westdeutschen) Nachkriegsdeutschland in der Welt geprägt hat, im Alter von 88 Jahren in seiner Wahlheimat Stuttgart gestorben.

Architektur, das ist die Kunst, das Lastende, Schwere in eine harmonische Balance zu bringen. Was Günter Behnisch ausstrahlte, schien das Gegenteil zu sein: die Faszination der Lockerheit, des Regellosen, der unfesten Formen. Viele seiner Schöpfungen sehen aus, als wollten sie abheben zum Fliegen. Andere suggerieren die Nähe zu Spiel und Freizeit, eine dritte Gruppe von Bauten experimentiert mit dem Provisorium, das immer auf ein erst noch kommendes Höheres hinzuweisen scheint.

Mit diesen Eigenschaften war Behnischs Oeuvre in der Nachkriegszeit die Architektur der Stunde. Sie lenkte den Blick aus den Trümmerwüsten in eine freie, heitere Gegenwelt, die Ausstieg aus der Geschichte zu verheißen schien. Bei der Olympiade 1972 in München war es der luftige Habitus der Behnisch-Zelte, der eine Kulisse abgab, vor der sich das neugeborene Deutschland in losgelöster Unbefangenheit präsentierte - bis die Attentate einen lähmenden Schatten über dieses Bild warfen. Beim Abschied vom westdeutschen Teilstaat war es der gläserne Plenarsaal, der das wogende Grün der Bonner Rheinaue in die Arena der Schicksalsdebatten hereinholte - bis sie die Wiedervereinigung ins Abseits stellte.

Um die suggestive Wirkung von Behnischs eigensinniger Bauauffassung auch heute noch nachzuempfinden, muss man sich vergegenwärtigen, wie sie in die Wirklichkeit der kriegsverwundeten Städte trat. Wenn man heute sagt, Behnischs Erfindungen habe etwas Tragisches angehaftet, so ist es nichts anderes als die Konfrontation mit der Wirklichkeit, der sie sich unvermittelt ausgesetzt sahen. Die ausgeblendete Geschichte meldete sich zurück. Kollegen haben bekundet, dass diese beiden Welten, die ernste und die heitere, in der Persönlichkeit des Architekten selbst angelegt waren, dass Behnisch, einst Mitglied im Jungvolk und U-Boot-Kommandant der Marine, die eine von beiden, die schwer lastende, in seiner Arbeit in einer unerhörten Selbstdisziplinierung lediglich zu kompensieren verstanden habe. Behnisch nahm für sich in Anspruch, gegen die "überzogen geordnete Architektur" zu rebellieren. Diese Ordnung wollte er als "zerbrochen und absurd" darstellen.

Gern hat Behnisch auf die liberale Entwurfspraxis hingewiesen, die für sein Büro charakteristisch sei. Den Teilen ihr Eigenleben lassen - diese Maxime habe auch gegenüber den Mitarbeitern gegolten, die in freier Debatte an der Gestaltfindung mitgewirkt hätten: "Inhalt und Erscheinung von Architektur wandeln sich, während wir planen", erläuterte er immer wieder. "Am Ende solcher Arbeit sind wir andere als zu Beginn." Fast könnte es da scheinen, dass diesem Architekten der Weg immer wichtiger als das Ziel gewesen sei, dass die Gebäude selbst nach ihrer Fertigstellung noch immer offenbleiben sollten für Veränderungen.

Offenheit war für diesen Architekten niemals nur ein Schlagwort. Er forderte sie nicht nur von Konkurrenten ein, sondern verlangte sie auch sich selbst ab. Als gerade er nach der Wiedervereinigung für die Rekonstruktion der massiv steinernen Frauenkirche seiner Heimatstadt Dresden eintrat und sich selbst als Chefarchitekt dafür anbot, hatte er seine Gemeinde endgültig verwirrt. Niemand konnte ihn wirklich fassen - und wenn es etwas geben sollte, das seine vergänglichen Leichtbauwerke überdauert, so mag es das anhaltende Staunen darüber sein, dass Proteus zum Architekten werden und sich eine ganze Generation in ihm erkennen konnte.