Heißer Auftakt für das Kaltstart-Festival mit ganz unterschiedlich temperierten Aufführungen im Kulturhaus 73, im Monsun-Theater und Terrace Hill

Hamburg. Die schwitzenden Zuschauer lachen dankbar. Tom Ripley greift im Duell mit Karl May zum Pflanzensprüher und bespritzt das Publikum mit Wasser. In jeder anderen Vorstellung wäre die Reaktion unfreundlich ausgefallen. Nicht so beim Kaltstart-Festival im Kulturhaus 73, denn da läuft alles anders. Vom angekündigten "kalten Start" kann keine Rede sein. Im Saal herrscht eine Bullenhitze. Nicht einmal das kühle Nass bringt Erfrischung. Doch Zuschauer wie Schauspieler halten tapfer durch.

Was John Birkes konstruiert wirkendes Stück mit dem Bermudadreieck zu tun haben soll, bleibt zwar unklar. Dafür machen Regisseurin Eva-Maria Baumeister und die Darsteller deutlich, was sie wollen: In präzisem und spannungsvollem Körperspiel decken sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Charakter und Leben zweier Verlierertypen auf. Der Romanschreiber Karl May (Martin Bretschneider) und Patricia Highsmiths Romanfigur Tom Ripley (Christoph Jöde) fliehen vor sich selbst und erfinden sich neu.

Karl May wird zu Old Shatterhand, der mörderische Nichtsnutz zu Ripleys Freund Dickie Greenleaf. Beim Verwandeln in die neuen Personen ironisiert das glänzende Spielerduo auch sich selbst: Schauspieler machen aus der Flucht in andere Figuren eine Profession. Bewährte Romanvorlagen auf die Bühne zu hieven liegt weiterhin im Trend. Häufig kommen dabei vor allem inszenierte Hörbücher heraus, bei denen die Protagonisten den Text distanziert vortragen, ja kaum noch vorgeben, eine Figur darzustellen. Anders geht das freie Ensemble La Vie - Das Leben e. V. aus Dresden in seiner Version von Ian McEwans Erfolgsroman "Der Zementgarten" zu Werke.

Die Schauspieler verkörpern im Monsun-Theater realistisch bis in die letzte Konsequenz vier Kinder, die in einem abgelegenen Einfamilienhaus mit dem Erwachsenwerden ringen und plötzlich mit dem Tod beider Elternteile fertigwerden müssen. Allzeit präsent der riesige Zementblock, in dem die einbetonierte Mutter ihre letzte Ruhe findet. Zu groß ist die Angst des launischen Jack (Philipp Michael Börner), der Ersatzmutter Julie (Sabine Melanie Rittel), der jungen Sue (Christin Wehner) und des sensiblen Tom (Moritz Ross), im Heim zu landen. Fortan sind sie sich selbst ihre Familie. Mit allen Ermahnungen, Verletzungen - aber auch liebevollen Gesten. In ihren häuslichen Ritualen schaffen sich die Figuren eine faszinierende Innenwelt, die nur noch von außen bedroht werden kann. Das zementgrau inszenierte Geschehen wird ganz von den Darstellern getragen.

Das Experimentelle liegt in der Genauigkeit, in einer Unaufgeregtheit, bei der im zweiten Teil auch mal Längen in Kauf genommen werden. Am offen performativen Ansatz, das verwandte Thema "Familie als reißendes Wolfsrudel" in Oscar von Woensels "Wer" in den Griff zu bekommen, scheiterte Johannes Magers Inszenierung für die freie Berner Gruppe Reckless Factory.

Im Terrace Hill im Feldstraßenbunker verzettelte sich das Spielerquintett mit improvisatorischen Einlagen und musikalischen Mätzchen, sodass ihm die Figuren und Konflikte zwischen den Geschwistern rasch entglitten. Experimente um des Experiments willen gehen leicht daneben.

Kaltstart heute: Der Du Gastspiel Schauspielhaus Düsseldorf mit Lisa Arnold (20 Uhr, Kulturhaus 73), Ilias Heimathafen Neukölln (21.30 Uhr, Terrace Hill), Reiher (Billy.Was?) nach Simon Stephens, 21.30 Uhr, Zeisehallen, Tel. 428 38 41 65, tickets@kaltstart-hamburg.de