Der NDR-Film “Aghet“ über den Völkermord an den Armeniern soll vor Mitgliedern des US-Kongresses gezeigt werden

Hamburg. Es ist eine große Ehre für einen Dokumentarfilm: Mitglieder des Amerikanischen Kongresses wollen sich gemeinsam die NDR-Produktion "Aghet - ein Völkermord" von Eric Friedler ansehen. Darin werden die Ereignisse um den Genozid an den Armeniern zwischen 1915 und 1917 aufbereitet. Am 21. Juli wird es auf dem Capitol Hill in Washington eine spezielle Vorführung geben, noch in diesem Jahr will der Kongress erneut über eine Anerkennung des Genozids debattieren.

Rund 1,5 Millionen Armenier, so schätzt man heute, kamen bei dem von den Türken an der armenischen Minderheit verübten Verbrechen ums Leben. Sie wurden zusammengetrieben und auf lange Todesmärsche geschickt. Sie verhungerten, verdursteten, wurden vergewaltigt oder ermordet. "Aghet", der im April in der ARD gezeigt wurde, vermittelt bewegende Eindrücke des Grauens. Der Hamburger Regisseur und Drehbuchautor Eric Friedler verzichtete darauf, Szenen nachspielen zu lassen. Stattdessen engagierte er bekannte Schauspieler wie Martina Gedeck und Burghart Klaußner, die die detaillierten, erschütternden Zeugenberichte sprechen: Aufzeichnungen, Berichte und Tagebucheinträge von Diplomaten, Krankenschwestern, Missionaren, die damals im Osmanischen Reich lebten und ihre Beobachtungen festhielten. Diese Dokumente liegen unter anderem in Archiven in Amerika, Frankreich und im sogenannten Diplomatischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. "Ich wollte die bereits vergilbten Dokumente verlebendigen und den Zeitzeugen von damals wieder eine Stimme geben. Wir haben Interviews mit Menschen aus der Vergangenheit geführt ", sagt Eric Friedler.

Obwohl Historiker seit Langem die Fakten kennen und die Ereignisse als einen Vorläufer des Holocaust einstufen, halten sich westliche Länder mit offiziellen Verurteilungen aus Rücksicht auf die geostrategische Bedeutung der Türkei zurück. Insbesondere die USA wollen den Bündnispartner Türkei nicht vor den Kopf stoßen. Sie unterhalten zusammen mit der Nato auf türkischem Boden die Incirlik Air Base, die als Drehkreuz für Flüge in den Irak und nach Afghanistan dient. Aber die defensive Einstellung der Amerikaner ist älter: Der armenische Genozid ist Gegenstand des Romans "Die 40 Tage des Musa Dagh" von Franz Werfel aus dem Jahr 1933. Die US-Produktionsfirma MGM erwarb kurz nach der Veröffentlichung die Rechte und wollte das Buch verfilmen. Sie ließ das Projekt aber fallen, nachdem die US-Regierung auf Bitten der türkischen Regierung intervenierte.

Seit Jahren versucht der US-Kongress, eine Resolution zur Anerkennung des Völkermords zu verabschieden. Bislang haben Spitzenpolitiker des Landes das stets verhindert. Jetzt aber könnte Bewegung in die Sache kommen. Im März hatte sich US-Außenministerin Hillary Clinton noch gegen eine entsprechende Resolution ausgesprochen, vor wenigen Tagen jedoch legte sie bei einem als "privat" bezeichneten Teil ihres Armenien-Besuchs Blumen am Mahnmal für den Genozid nieder.

"Dass 'Aghet' für die Entscheidungsfindung einiger Kongressabgeordneter wichtig zu sein scheint, ist ungewöhnlich und freut mich sehr", sagt Friedler. Er gibt sich bescheiden, aber er weiß, dass es für ihn und seinen Film einem Ritterschlag gleichkäme, wenn er zu einer amerikanischen Neubewertung beitragen könnte. Er wird "Aghet" in die US-Hauptstadt begleiten und sich den Fragen der Abgeordneten stellen.

Die sehen eine englische Sprachfassung von "Aghet", in der der britische Schauspieler Andy Serkis (die Stimme des "Gollum" in der "Herr der Ringe"-Trilogie) den Hauptkommentar spricht. Er hat ebenso armenische Vorfahren wie der kanadische Regisseur Atom Egoyan, der Friedlers Film als "lange fehlende Darstellung" hervorhob. Lob bekam der Regisseur auch von prominenter deutscher Seite. Literaturnobelpreisträger Günter Grass forderte bei einem Türkei-Besuch, das Land möge die Verbrechen an den Armeniern anerkennen, und bezog sich ausdrücklich auf "Aghet". "Das Beste wäre, man würde diesen Film im türkischen Fernsehen übernehmen", sagte Grass

Zur Vorführung in Washington wird auch der ehemalige US-Botschafter in Armenien, John Evans, erwartet, der die historischen Ereignisse als "Genozid" bezeichnete und daraufhin von George W. Bush abberufen wurde.

Die Einladung kommt für Friedler zu einem interessanten Zeitpunkt. Er übernimmt beim NDR die Abteilung Sonderprojekte vom bisherigen Leiter Horst Königstein, der in den Ruhestand geht. Friedler, 1971 in Sydney geboren, gilt als akribischer Rechercheur und hat mit Filmen wie "Das Schweigen der Quandts" Aufsehen erregt. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sollen anspruchsvolle Dokumentationen und Dokudramen bleiben, redaktionell wird er sich weiterhin auch um die Arbeit anderer Filmemacher kümmern. Özgür Yildirim ("Chiko") machte er beispielsweise auf die ungewöhnliche Lebensgeschichte des afrodeutschen Boxers Charly Graf aufmerksam, der ein Mithäftling des ehemaligen RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock war, und aus dem Gefängnis heraus deutscher Meister wurde.