Der junge Engländer Ned Beauman eifert in seinem komisch-geschmacklosen Debüt “Flieg, Hitler, flieg!“ dem großen Thomas Pynchon nach

Zumindest die Cover-Gestaltung war ganz einfach, sie folgte der inhaltlichen Wildheit und der Vielheit der Bedeutungsebenen von Ned Beaumans Debütroman "Flieg, Hitler, flieg!". Und das, was dort in einer aberwitzigen, kruden und anarchischen Mischung aus Zeitsprüngen, Assoziationsräumen und Referenzenhöllen betreten wird, versammelt sich auf dem Einband in einem einprägsamen Bild. Adolf Hitler mit Clownsnase und Flügeln, das fiese Bärtchen und der Scheitel sauber frisiert, die Augen positioniert zum berühmt-berüchtigten Starr-Blick. Igitt.

Weil Ned Beauman ein Faible für durchaus ekelhafte Details hat und vor übelkeitverursachenden Beschreibungen nie zurückschreckt, korrespondiert dieses Cover mit dem Inhalt. "Flieg, Hitler, flieg" ist so ziemlich das böseste Buch geworden, dass man sich von einem 25-Jährigen vorstellen kann, der mal ein bisschen Lust hatte, die nationalsozialistische Hetzlehre auf ihre kranke Fantasie hin zu untersuchen. Für den aufrechten Arier waren Juden Ungeziefer, hier ist es Hitler selbst, der ein Insekt ist. Natürlich nicht wirklich, sondern im Glaskasten des Forschers. Die Flügel des eingefangenen Tieres zeigen ein "vollkommenes Tetraskelion im Uhrzeigersinn", ein Hakenkreuz also. Da kann man, wenn man Philip Erskine heißt und Rassenfanatiker ist, schon mal auf die Idee verfallen, den Käfer "Anophthalamus hitleri" zu nennen. Erskine will den zurechtgezüchteten Käfer zum Prototypen für den Herrenmenschen machen. Da ließe sich jetzt über die moderne Medizin reden, aber das ist nur ein Nebendiskurs.

Es gibt keine Figur, mit der sich der Leser identifiziert

Erskine, der homosexuelle Forscher, ist die zentrale Figur der einen zeitlichen Ebene, auf der das sonderbare Werk "Flieg, Hitler, flieg!" spielt: in den Dreißigerjahren. Die andere Ebene finden wir im Heute, wo der Privatdetektiv Kevin "Fishy" Broom an einer seltenen Krankheit leidet, die ihn erbärmlich nach Fisch stinken lässt. Broom sammelt Nazi-Memorabilien und stößt im Zuge seiner Leidenschaft auf einen Brief Hitlers an Erskine - ein Besitz, der ihn alsbald in arge Nöte bringt. Broom ist ein irgendwie Verdruckster, dessen absurde Nazi-Begeisterung keine ideologischen Gründe hat, sondern auf der Faszination an der eigenen Perversität beruht - tatsächlich. Wer's braucht!

Irgendwer will diese Hakenkreuz-Käfer finden, und er braucht Broom. Der ist in den Besitz eines vom Führer höchstselbst unterzeichneten Briefs geraten, in ihm bedankt sich Hitler für das freundliche Geschenk aus England. Der Reichskanzler freut sich durchaus über Ungeziefer. Der Brief verbindet die beiden Zeitebenen miteinander. Denn der Käfer gehört mit einem Boxer namens Seth Roach untrennbar zusammen. Roach, Spitzname "Sinner", ist das zweite Forschungsobjekt des bizarren und außergewöhnlich unsympathischen Forschers Erskine. Wie überhaupt in diesem so pynchonesken Buch keine einzige Figur auftaucht, mit der sich der Leser identifizieren möchte. Allerdings geben die Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts ein noch ungleich jämmerlicheres Bild ab, die Jetztzeit ist eher ein hingerotztes Pastiche.

Seth "Sinner" Roach, der Preisboxer, ist die komplette Abweichung von der Norm. Der Norm, die die Rassentheoretiker der Nazis ausgerufen hatten: Roach, der 20-jährige, jüdische Londoner, dessen Vorfahren aus Osteuropa stammen, ist ein triebgesteuerter Egozentriker ohne jeglichen moralischen Kompass. Er haut seine Gegner reihenweise um, säuft wie ein Loch und geht seinen homosexuellen Neigungen unverdrossen nach. Roach hat zwar Kraft wie ein Bär, ist aber ein verwachsener Zwerg. Er hat keine Kultur und keinen Geist, er ist der Sünder. Erskine kann sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen, es muss sich doch etwas mit den Charaktereigenschaften des sich wehrlos den sinnlichen Genüssen hingebenden Roach anfangen lassen. Der verkauft sich an den Nazi-Forscher.

Die Abartigkeit und Pseudo-Wissenschaftlichkeit der Nazis wird in Beaumans zusammenmontierter, komischer Handlung schonungslos ausgestellt. Dass man sich die albernen Plotlinien an vielen Stellen gut als Comic vorstellen kann, erinnert deutlich an den Meister des postmodernen Romans, Thomas Pynchon. Auch die Sprache des von Sophie Kreutzfeld ins Deutsche übertragenen Buchs (es erschien hier einige Tage früher als in England) gefällt außerordentlich. Gleiches gilt für die Darstellung der Dreißigerjahre und die Darstellung der Weltzugänge, wie sie anlässlich eines Abendessens in New York von den Figuren vertreten werden: Hören wir da nicht beinahe Naphta und Settembrini auf dem Zauberberg? Nicht verschwiegen werden soll, dass der rasant erklommene Spannungsbogen in eine Sackgasse mündet. "Flieg, Hitler, flieg!" ist so spinnert und verwickelt, da gibt es keine befriedigende Auflösung. Bei Pynchon ist es meistens genauso.