Die Künstlerin Laurie Anderson macht sich Gedanken über den Zustand der Welt. Jetzt ist ihr neues Album “Homeland“ erschienen.

Hamburg. Das rustikale Holzfällerhemd und die schwarze Lederweste passen eigentlich nicht zur Aura einer New Yorker Intellektuellen. So könnte auch eine Farmersfrau im Mittleren Westen gekleidet sein. Behaglich, bequem, zweckmäßig. Der Titel von Laurie Andersons neuem Album scheint genau diese Behaglichkeit auszudrücken. "Homeland", Heimatland, heißt es. Das klingt nach einem sicheren Rückzugsort und heiler Welt. Doch die zierliche Künstlerin wollte mit dem Wort Homeland kein Idyll benennen, im Gegenteil. "Wenn wir an Homeland denken, fügen wir in den USA automatisch das Wort Security hinzu", erklärt sie. "Und das steht für ein von der Regierung Bush eingeführtes Kontrollsystem und ist nicht sehr gemütlich."

Mit sanfter Stimme spricht Laurie Anderson über Fehlentwicklungen in den westlichen Gesellschaften, über Gier und Egozentrismus. Wo andere sich mit Furor angesichts einer aus den Fugen geratenen Welt ereifern würden, bleibt Laurie Anderson besonnen. Die 63 Jahre alte Multimediakünstlerin, in den 80ern zu einer intellektuellen Leitfigur in den USA geworden, übt Kritik mit messerscharfem Verstand, aber auch mit einer großen Portion Humor. Dann blitzen ihre grünen Augen, und sie zeigt ein verschmitztes Lächeln. Mit ihren strubbeligen Haaren wirkt sie wie ein guter Kobold. Ein Hausgeist, der das Beste für sein Land will, aber mit spottender Kritik nicht spart.

Die Nummer "Only An Expert" ist ein gelungenes Beispiel für Andersons Kunst der Auseinandersetzung und Kritik. Zu einem schnellen Technobeat und einer lauten E-Gitarre singt sie im Refrain "only an expert can deal with the problem" und reiht Beispiel an Beispiel, wie selbst ernannte Fachleute das Volk für dumm verkaufen. "Wir haben dieses Expertentum gerade in der Bankenkrise erlebt. Die Banker sagen zu uns: 'Ihr seid nicht schlau genug, um die Finanzmärkte zu verstehen. Deshalb helfen wir euch.' In Wirklichkeit räubern sie uns aus", sagt sie, lächelt und nippt an ihrem Tee.

Auf dem Cover von "Homeland" ist Laurie Anderson mit Oberlippenbart und angeklebten wulstigen Augenbrauen zu sehen. Fenway Bergamot heißt ihr männliches Alter Ego mit der tiefen, von einem Vocoder manipulierten Stimme, das sie seit 1987 benutzt. Fenway ist auf "Homeland" der Erzähler des elfeinhalbminütigen "Another Day In America". Als alter Mann stellt er die Frage nach dem Ende der Welt, ergeht sich in zynischen Anmerkungen oder erklärt, warum er sich im hohen Alter von seiner Frau scheiden lässt: "Wir wollten warten, bis die Kinder tot sind."

Die Apokalypse scheint in vielen Songs allgegenwärtig, doch Laurie Anderson bezeichnet sich selbst als Optimistin. "Ich glaube, dass die Menschheit smart ist. Wir sind zwar selbstzerstörerisch, aber wir werden sicher immer etwas erfinden, um zu überleben." Vor ein paar Jahren komponierte Anderson für die US-Weltraumbehörde Nasa den Titel "The End Of The Moon" und hatte Kontakt zu einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern: "Ihre Idee ist es, den Mars bewohnbar zu machen. Mir kam es jedoch ein bisschen seltsam vor, dass über die Begrünung des Mars nachgedacht wird. Vielleicht sollten wir die Erde erst einmal gut behandeln."

Dass "Homeland" in diesem Jahr überhaupt erscheint, verdankt Laurie Anderson ihrem Ehemann Lou Reed. Seit 15 Jahren sind die zurückhaltende Performance-Künstlerin und der oft schroff wirkende Reed ein Paar. Anderson arbeitet seit 2007 an "Homeland" und hat viele der Kompositionen bereits live aufgeführt. Als sie dann die Stücke im Studio neu einspielen wollte, gelang es nicht. "Viele politische Texte passten nicht mehr, weil Obama inzwischen gewählt worden war und die Welt sich wieder einmal verändert hatte. Außerdem fehlte mir im Studio die richtige Atmosphäre."

Wegen ihrer vielen verschiedenen Projekte konnte Anderson nur zwei Tage pro Woche an "Homeland" arbeiten. Eine Sisyphusarbeit, die jedoch kaum fertige Ergebnisse brachte. "Ich war kurz vorm Durchdrehen", sagt sie. Angesichts ihrer sanften Art im Gespräch kann man sich kaum vorstellen, dass diese Frau je ihre Gelassenheit verlieren könnte. Doch sie jammerte so lange, bis Lou Reed eines Tages zu ihr ins Studio kam und verkündete: "Ich bleibe, bis wir fertig sind!" Laurie Anderson vermutet, dass sie ohne ihren Mann immer noch im Studio sitzen würde. "Gute Produzenten sind wichtig", ist ihr fast lapidar klingendes Fazit.

New York verlässt sie in diesem Jahr häufiger als sonst. Sie hat in Polen zusammen mit Reed und dem Saxofonisten John Zorn gespielt, in London eine neue Multimediashow eingerichtet, ein zweiwöchiges Programm an der Oper von Sydney kuratiert. Interviews zu "Homeland" gibt sie in Hamburg, ein passender Ort, wie sie findet. "Ich lese gerade Jules Vernes 'Reise zum Mittelpunkt der Erde'. Der Roman beginnt in der Hamburger Königstraße und spielt später auf Island. Das ist meine nächste Station." Auf Island wird Anderson in Roni Horns Installation "Library Of Water" spielen. Dann geht es zurück nach Hause, in "my country", wie sie sagt. Ein nüchternes Wort für Heimat, aber unverdächtiger als Homeland.