Werke aus der Sammlung Falckenberg in der Potsdamer Villa Schöningen. Initiator Döpfner nennt die Mischung “unwiderstehlich“.

Potsdam. Kunst muss wehtun. Das war Martin Kippenbergers Credo. Und obwohl "Kippi" seit 13 Jahren tot ist - und die Museen, die ihn Zeit seines Lebens ablehnten, durch unbezahlbare Auktionspreise abgestraft werden -, klappt es mit der Provokation immer noch ganz gut. So schickte 2008 sogar der Papst einen bösen Brief, als das Museum für zeitgenössische Kunst in Bozen es wagte, Kippenbergers gekreuzigten Frosch zu zeigen. Vorher hatten Gebetsgruppen die Ausstellung regelrecht bestürmt, um gegen das Ungeheuerliche anzubeten.

Kunst zum Abkühlen - Hamburgs Ausstellungen im Sommer 2010

Fünf von diesen Fröschen gibt es, einer gehört zur Sammlung Falckenberg. Jetzt hängt er in Potsdam und daneben steht, was sich Kippenberger einst dabei gedacht hat: "Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Christus? Der Gesichtsausdruck beim Nageln." Kein Wunder, dass Rom darüber in Rage geriet.

Dieses Multiple ist der Höhepunkt einer Ausstellung, die gestern in der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke eröffnet wurde. In der Turmvilla, die

Ludwig Persius 1843 für den Hofmarschall des Prinzen von Preußen entwarf. Ein schärferer Kontrast ist kaum vorstellbar. Hier der arkadische Ort, dort die anarchischen Skandalarbeiten der 1976 im suff- und drogengeschwängerten Reizklima Westberlins gegründeten Künstlergruppe "Liga zur Bekämpfung des widersprüchlichen Verhaltens", der Kippenberger angehörte. Neben Werner Büttner, Georg Herold und Albert Oehlen. Der Hamburger Sammler Harald Falckenberg hat die Ausstellung selbst kuratiert und mit dadaistischen Bemerkungen der Künstler garniert. Mit Sprüchen wie "Wir lesen morgens die Zeitung und malen mittags. Für das Ergebnis ist der Staat verantwortlich" (Albert Oehlen) oder "Bekannt durch Film, Funk, Fernsehen und Polizeirufsäulen" (Martin Kippenberger).

"Die Bilder", sagt Falckenberg und lässt den Blick zufrieden durch die lichten klassizistischen Räume schweifen, "passen hier überhaupt nicht rein. Das ist das Gute daran. Wenn Unvernunft herrscht, geht's los." Falckenberg hat erst mit 50 angefangen zu sammeln, also Anfang der 90er-Jahre. "So früh", sagt er lässig, "wollte ich nicht so viel Geld ausgeben." Für Kippenbergers Selbstporträt von 1976, ein SchwarzWeiß-Foto, das der Kunststudent damals in einen abscheulichen malvenfarbenen Flokati einpasste, hat er ganze 3000 Mark bezahlt. Gekauft hat er es von Kippenbergers Frau, die sich inzwischen mit Büttner zusammengetan hatte. Aber das war die Ausnahme, denn Falckenberg hält nicht viel davon, die Galeristen zu umgehen.

"Einem Galeristen kann man sagen, dass man eine Arbeit schlecht findet, einem Künstler nicht", pflegt der 66-Jährige trocken zu sagen, der mit Büttner, Jonathan Meese und Franz Ackermann befreundet ist. Auf Gespräche über Kunst lässt er sich mit diesen Freunden sicherheitshalber auch nicht ein. Mit Büttner, sagt Falckenberg, spreche er über Politik, mit Meese über unverfängliche Kulturthemen und mit Ackermann über Fußball. Mit Kippenberger ist Falckenberg übrigens nicht befreundet gewesen. Den, sagt er, habe er sogar gehasst. Der sei "total spießig" gewesen. Sei viel im Bademantel und mit der Bierflasche in der Hand herumgeschlurft.

Dafür hat Kippenberger mit unglaublichem Furor gearbeitet. Beseelt von seiner Hassliebe zum Kunstbetrieb, hat er nur das gemacht, was er machen wollte. Immer auf der Suche nach dem Kaputten, inspiriert vom Underground. Aber auch mit unglaublich viel Witz und Selbstironie. Nachdem ihn ein paar Punks zusammengeschlagen hatten, weil die Bierpreise im legendären Kreuzberger SO36 erhöht worden waren, an dem sich Kippenberger finanziell beteiligt hatte, malte er sich mit bandagiertem Kopf und nannte das Bild "Dialog mit der Jugend".

Werner Büttner, der seit 1989 eine Professur an der Hamburger Hochschule für Bildende Kunst innehat, konfrontiert seine Studenten gerne mit zwei Sätzen aus der Offenbarung des Johannes: Man könne heiß oder kalt sein. Wer aber lau sei, den werde der Herr ausspucken.

Die Potsdamer Ausstellung, die unter dem Titel "Wahrheit ist Arbeit" daherkommt und bis Ende Oktober zu sehen sein wird, ist alles andere als lau. Sie ist kraftvoll, böse und witzig zugleich. Sie zeigt Arbeiten in Öl und Acryl, Zeichnungen, Collagen und Siebdrucke. Die Werke tragen Titel wie

"Stillleben mit sibirischem Kinderwagen" (Büttner) oder "Selbstporträt mit leeren Händen" (Oehlen). Zu den Höhepunkten gehören Georg Herolds Installation "Ruhm und Ehre der Sowjetsoldaten", der an der Glienicker Brücke eine besondere Bedeutung zukommt, und Kippenbergers berühmter "Sozialkistentransporter", eine aus Holz und Metall zusammengeschusterte Gondel, die dem Untergang geweiht ist.

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, der die Villa Schöningen im vergangenen Jahr zu neuem Leben erweckt und die Falckenberg-Ausstellung initiiert hat, nennt die Mischung aus Punk und Persius "unwiderstehlich". Und er sagt, es passe gut zum Profil des Hauses, die Tabuzonen und Grenzbereiche künstlerischer Freiheit an dieser einstigen Schnittstelle zwischen Ost und West humorvoll und ironisch auszuleuchten.