“Get Up, Stand Up“, denn “We Shall Overcome“. Was ist eigentlich aus dem Protestsong geworden, wenn es genug zum Protestieren gibt.

Etwas unsicher war John Lennon schon, als er "Revolution" für das "Weiße Album" der Beatles schrieb: Die Textzeile "When you talk about destruction, don't you know that you can count me out" ist ebenso überliefert wie der alternative Ansatz "count me in". Das war 1968, wie wir wissen ein gutes Jahr für Protestsongs.

"Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied!", tönte es noch aus Auerbachs Keller in Goethes "Faust", dabei hieß es schon 30 Jahre zuvor, gegen Ende des 18. Jahrhunderts: "Die Gedanken sind frei". Wo immer sozialer und politischer Missstand herrschte, griffen engagierte Menschen zum Stift und dichteten und sangen ihren Unmut in die ungerechte Welt. Kulturgüter, die Identifikation stifteten, waren natürlich die Hymnen der Arbeiterbewegung, allen voran "Die Internationale" oder "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit".

Auch als Liedgut in den 50er-Jahren zum Pop wurde, war Protest das Triebmittel, um zur Gitarre zu greifen. Schon der Rock 'n' Roll an sich war von Natur aus rebellisch, verachtet vom Establishment, als Zeichen einer verwahrlosten Jugend gedeutet. Aber: Pop shall overcome.

Ende der 60er wurde die musikalische Anti-Haltung zum Mainstream

Während Bomben und Napalm auf Vietnam regneten und in Europa und in den USA staatliche Knüppelgarden junge Demonstranten zu Paaren trieben, antworteten die Bösen mit Terror, die Guten - Bob Dylan, Pete Seeger, Joan Baez - mit Songs. In Woodstock kulminierte diese Entwicklung in der Mutter aller Festivals und in der Folgezeit wurde der politische Song verpflichtend für jeden Künstler, der musikalisch ernst genommen werden wollte. Anti-Haltung als Mainstream.

So begehrte zum Beispiel ein John Lennon immer wieder auf, wenn er nicht gerade Yoko Ono begehrte. Was 1968 mit "Revolution" und 1969 mit "Give Peace A Chance" begann, setzt sich fort mit einer ganzen Reihe Songs für die Ewigkeit: "Sunday Bloody Sunday", "God", "Working Class Hero" und natürlich "Imagine". In der Nacht seines Todes am 8. Dezember 1980 hielten trauernde Fans Plakate mit dem Slogan aus dem Song "Happy Xmas" hoch: "War is over! If you want it!"

George Harrison organisierte das "Concert for Bangladesh", Paul McCartney forderte "Give Ireland Back To The Irish", die Rolling Stones feierten den "Street Fighting Man", Bob Marley rief "Get Up, Stand Up". In Deutschland genoss man sowohl die Sozialromantik eines Hannes Wader als auch die Brachialromantik von Ton Steine Scherben - "Keine Macht für Niemand" und "Macht kaputt, was euch kaputt macht" wurden Slogans, die noch heute die Protestkultur prägen. Und dann war da noch der Punk, der einfach gegen alles war. Destruktiv war progressiv. Alles kaputt machen.

Vielleicht ist das auch eine Ursache für die Entpolitisierung der Popmusik in den 80er-Jahren. Klar gab es die frühen U2 oder die Pioniere des Hip-Hop, ansonsten ruhte sich Musik spätestens mit der Etablierung der CD auf ihrem kommerziellen Kissen aus.

Die Welt von heute ist die Welt von gestern. Kriege, Globalisierung, Turbokapitalismus und Umwelt-Zerstörung treiben immer noch viele Engagierte auf die Straße. Und protestiert wird weiterhin noch in musikalischer Form, auch wenn ausgesprochen politische Bands wie Rage Against The Machine selten sind, der Aufruhr eher im Underground agiert und agitiert.

Was könnte der Grund sein für die auffällige Banalisierung der Mainstream-Musik? Vielleicht die Tatsache, dass Protestsongs über die Jahrzehnte weniger bewirkt haben, als wir es uns wünschen. Oder die Menschen folgen dem Beispiel, welches Die Ärzte im "Grotesksong" auf die Schippe nahmen: "Dies ist ein Protestsong gegen Protestsongs, ich kann's nicht mehr hör'n."