Kurt Kister, bisher Vizechef der “SZ“ in München, wird ein wenig überraschend Chefredakteur des Blattes. Hans Werner Kilz geht in den Ruhestand.

Hamburg. Das Stück war von ausgesuchter Bösartigkeit: Es spreche manches dafür, schrieb der stellvertretende Chefredakteur der "Süddeutschen Zeitung", Kurt Kister, Anfang Februar in seiner Kolumne "Deutscher Alltag", "dass die Schwaben zum romanischen Kulturkreis zu zählen sind". Sie hätten zwar, anders als die Franzosen, nur "wenige bedeutende Beiträge zur europäischen Zivilisation hervorgebracht". Sie könnten aber "wie auch Spanier und Italiener andere Sprachen als jene, die sie von ihren Eltern gelernt haben, nur lauttechnisch entstellt sprechen". Das liege daran, dass es sich beim Schwäbischen um "eine vordeutsche Ursprache" handele, "mit der sich schon vor Jahrtausenden die eher behaarten Kleinvölkerschaften wie der homo stuttgartiensis oder auch der homo semierectus nerosilvaticus, der schwarzwäldische Geducktläufer, untereinander verständigten".

Der notdürftig als Beitrag zur Völkerkunde getarnte Artikel war ein Affront gegen den von der Redaktion ungeliebten Hauptgesellschafter der "SZ", die im schwäbischen Stuttgart ansässige Südwestdeutsche Medien-Holding (SWMH). So wurde er jedenfalls von nahezu allen Redaktionsmitgliedern verstanden. SWMH-Geschäftsführer Richard Rebmann war zuletzt Verleger des "Schwarzwälder Boten". So viel zum "schwarzwäldischen Geducktläufer".

Spätestens nach Erscheinen dieses Stücks galt es als komplett ausgeschlossen, dass Kister Nachfolger des zum Jahresende ausscheidenden "SZ"-Chefredakteurs Hans Werner Kilz werden könnte. Genau das aber wird nun geschehen: Gestern gegen 14 Uhr teilte die Geschäftsführung den Nachrichtenagenturen mit, dass Kister neuer Chefredakteur der Zeitung wird. Dies habe der Herausgeberrat des Blattes entschieden.

Als gesichert gilt, dass Kister für die Gesellschafter keineswegs erste Wahl war. Dabei bringt der 52-Jährige, der seit 1983 in Diensten der "SZ" steht, alle erforderlichen Qualifikationen für den Job eines Chefredakteurs mit: Bevor er 2005 Kilz' Stellvertreter wurde, wirkte der mehrfach preisgekrönte Journalist für die "SZ" als Leiter der Ressorts Seite Drei und Außenpolitik. Zudem war er Korrespondent in Bonn, Berlin und Washington. Allerdings gilt Kister als impulsiv und wenig diplomatisch. Diplomatie ist im Umgang mit der SWMH, die seit 2008 gut 81 Prozent der "SZ"-Anteile hält, aber dringend erforderlich.

Die Schwaben, die sonst nur Regionalzeitungen wie die "Stuttgarter Zeitung" oder die Ludwigshafener "Rheinpfalz" verlegen, tun sich mit der überregionalen "SZ" nach wie vor schwer. Hinzu kommt, dass die mit einer verkauften Auflage von 438 100 Exemplaren größte deutsche Abonnementzeitung trotz mehrerer Sparrunden 2009 rote Zahlen schrieb. Schwer vorstellbar, dass eine weitere Sparrunde auf Kosten der Redaktion mit Kister zu machen ist.

Ursprünglich suchten die Gesellschafter einen externen Nachfolger für Kilz. Als im März "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo absagte, war klar, dass es auf einen "SZ"-Mann hinauslaufen würde. Kister galt aber auch weiterhin eher als Außenseiter. Allerdings war er von Anfang an Kilz' Favorit. In langen Gesprächen habe der Chefredakteur die Gesellschafter überzeugen können, dass Kister der beste Kandidat für den Posten sei, heißt es in Verlagskreisen.

Anfangs war vermutet worden, Kister solle der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Krach quasi als gleichberechtigter Aufpasser zur Seite gestellt werden. Dazu ist es nicht gekommen. Krach bleibt Stellvertreter. Dafür rückt nun - vermutlich ebenfalls auf Empfehlung von Kilz - auch Innenpolitikchef Heribert Prantl als dritter Mann in die Chefredaktion auf. Er war in der Vergangenheit immer wieder mal ins Gespräch gebracht worden, wenn irgendwo ein Chefredakteursposten zu besetzen war.

Die nun gefundene Lösung ist ganz im Sinne der Redaktion. Zwar muss sie noch mindestens ein Drittel der im Impressum verzeichneten Redakteure absegnen. Die Zustimmung dieser sogenannten Impressionisten gilt aber als sicher. Dass die Gesellschafter das Redaktionsstatut, das diese Form der Mitbestimmung ermöglicht, kippen, ist dagegen unwahrscheinlich. Ob Kister aber auf Dauer mit den "lauttechnisch entstellt" sprechenden Schwaben klarkommt, das kann heute noch niemand sagen.