Posthum erscheint José Saramagos “Die Reise des Elefanten“ auf Deutsch. Der Roman ist die heitere Schilderung einer tatsächlichen Begebenheit.

In Salzburg gibt es tatsächlich ein Restaurant, das "Der Elefant" heißt. Salzburg ist die Mozartstadt, aber der Riese der klassischen Musik hat hier nicht als Einziger seine Spuren hinterlassen. Kleine Holzschnitzereien legen Zeugnis ab von einer europäischen Reiseroute, die von Lissabon nach Wien führt, aber nicht heute, sondern anno dunnemals. Um genau zu sein, 1551. Und der Reisende ist kein Mensch, sondern: ein Elefant. Er wurde zu Zeiten von König Johann III. nach Österreich gebracht. José Saramago ging also vor einiger Zeit zu Abend essen im Elefanten. Das Ergebnis der kultivierten Nahrungsaufnahme ist der Roman "Die Reise des Elefanten". Er erscheint nun auf Deutsch, knapp zwei Wochen nach dem Tod des Nobelpreisträgers .

Saramago, der literarische Gigant, der Stolz Portugals, hat sich noch einmal inspirieren lassen zu einer Parabel, der Form also, die ihn berühmt gemacht hat, als er mit "Die Stadt der Blinden" einen Bestseller schrieb. Der Leser lernt etwas über den Menschen und das Menschliche, aber der Held ist ein Elefant. Er ist ein Vielfraß und vertilgt die Heuballen stapelweise. Er ist eine Attraktion in jeder Stadt, durch die er stapft. Dabei wird er bewacht von einer Kompanie Soldaten. Aber nur einer ist immer bei dem Tier, das einst von den Portugiesen nach Europa gebracht wurde: der Mahut, der Elefantenhüter Subhro, durch dessen Mund wir vieles erfahren, was die Welt des 16. Jahrhunderts ausmacht. Sprechen kann der Elefant nicht: Da muss ein Vermittler her.

Besser gesagt zwei, denn wie oft bei Saramago gibt es einen dominanten olympischen Erzähler, und der berichtet in der Hauptsache von dieser historischen Reise, der der Urheber Saramago in diesem Alterswerk hinterherforscht. Sie hat wirklich stattgefunden; aber der Reisebericht ist, trotz aller vorliegenden Zeugnisse, durchdrungen von der Fantasie des Autors. Der ist heiter, und so werden die Episoden einer Reise, deren Höhepunkt die Bezwingung der Alpen ist (auf Hannibals Spuren, der Afrikaner zog mit Elefanten gen Rom, knapp zwei Jahrtausende vorher schon, wir erinnern uns an den Geschichtsunterricht), zu dramatischen Ereignissen, die von einem weise-ironischen Betrachter trocken geschildert werden. Der Standpunkt dieses Erzählers ist unbedingt modern, und deswegen erscheinen die Gläubigkeit, das Wanken der Zeitgenossen in einer unsicheren Zeit (die Reformation hat gerade stattgefunden) als skurrile Angelegenheit, die durch das Auftauchen eines Elefanten noch potenziert wird. Der milde Spott des Heutigen schleicht sich in die historische Schilderung, hier gaukelt niemand vor, in der Geschichte zu sein. Fast am Ende entgleist dieser Erzähler sogar einmal.

Hatte er die Religiosität des Zeitalters - einmal wird der Elefant zu einem Kniefall vor den Gläubigen in Padua gezwungen - noch augenzwinkernd vorgeführt, so wird er ausgerechnet bei der Betrachtung moderner Gepflogenheiten boshaft. Und es ist nicht zufällig eine (allzu billige?) Sprachkritik, die den Erzähler in Harnisch gehen lässt. Er echauffiert sich über den Wortgebrauch an der portugiesischen Algarve, wo "ein ordentlicher Strand nicht mehr Praia, sondern Beach genannt wird und der Pescador Fisherman, ganz gleich, ob er ordentlich ist oder nicht, und bei den Aldeamentos Turisticos, die jetzt schon keine Aldeias, also Dörfer, mehr sind, erfahren wir, dass der passendere Ausdruck Holiday Village oder Village de Vacance oder Feriendorf ist". Das Lamento geht noch weiter, aber die Lektüre lohnt nicht wirklich: zu oft gehört.

Schöner sind die Aphorismen und wirklich hübschen, merkenswerten Sätze, die Saramago wie immer zahlreich aus der Feder fließen. "Die Vergangenheit ist eine riesige Steinwüste, die viele am liebsten wie auf einer Art Autobahn durchquerten, während andere von Stein zu Stein wandern und jeden einzeln hochheben, weil sie wissen müssen, was sich darunter befindet", schreibt er einmal. Es sind diese Schmuckstücke, die aus der eleganten, eher einfachen Sprache Saramagos reichhaltige Texte machen.

Am ehesten ist die Elefanten-Geschichte eine Parabel auf die literarische Tätigkeit an sich: Die Reise des Elefanten ist eine der Fantasie, der Erzähler spricht von der Notwendigkeit, "Lücken zu füllen, damit die heilige Kohärenz der Geschichte nicht verloren geht". Denn allzu viele historische Zeugnisse gibt es nicht; wer will schon einen nüchternen Bericht. Der indische Mahut, der vom österreichischen Erzherzog den Namen "Fritz" verpasst bekommt, ist die Erfindung des schwunghaften Erzählers, eines "Lügners".

So fesselnd und abgründig wie Saramagos größter Roman "Die Stadt der Blinden" ist "Die Reise des Elefanten" übrigens nicht. Die kafkaeske Endzeitvision über die plötzlich Erblindeten, sie blieben alle namenlos, war ein in viele Richtungen deutbares Lehrstück. "Die Reise des Elefanten" ist amüsant und unterhaltend, sie fragt eher spielerisch als zwingend nach der Vernunftbegabung des Menschen: eine launige Erzählung, die kein Weltbild ins Wanken bringt.

José Saramago Die Reise des Elefanten (Hoffmann & Campe), 235 Seiten, 19,95 Euro