Der Himmel hängt voller Fernseher. Runde Augen schauen auf das Eckige wie der Fünfjährige auf die Tür, hinter der das Geburtstagsgeschenk wartet. Die Gesichter sind unmaskiert wie sonst nur im Schlaf. Einem anschwellenden Grollen der Hoffnung aus hundert Kehlen folgt der dämonische Chor der Enttäuschung. Seufzen, schreien, beten.

Mit geschlossenen Augen sitze ich vor meiner Eisdiele im Grindelhof und höre Fußball-WM. Ich muss nicht sehen, um zu wissen, was passiert; die Seh(n)süchtigen lautmalen es mir vor, durch Hinterhöfe, Wände, Häuserfjorde. Hier spricht Radio Leidenschaft, wir senden ansteckende Emotionen. Da läuft eine Schallwelle durchs Viertel wie die La Ola, weil die mit den Digital-Receivern den Schuss erst sehen, wenn die Analogempfänger längst johlend Fremde umschlingen und unerlaubte Böller hochjagen. Eine Fußballsymphonie im Takt der Torchancen; wieso macht nur WM, dass wir uns als "wir" fühlen?

Nachbarn in der Bornstraße haben ihre Klappstühle vom Dachboden geholt und rücken näher an die Bildschirme an der Mathildebar, dem Arkadasch und dem Abaton heran. Das Viertel, ein Freiluftwohnzimmer, intimer als auf dem Fancamp, sinnlicher. Räder parken nicht abgeschlossen und ungesichert auf der Straße, Taxifahrer in zweiter Reihe applaudieren durchs heruntergekurbelte Fenster. Es ist eine zart gewobene Vertraulichkeit unter den Menschen, eine Lust, sich zu begegnen; so stellt man sich Familienfeste vor, die es in Happy-End-Filmen gibt.

Liebe Boygroup, liebe Löw(en)kinder, macht nur weiter so. Drückt den Gauchos die Kirsche rein. Ihr schenkt uns damit mehr als Ballzauber allein.

Beten kann helfen, muss aber nicht: "WM im Fleet", das nachbarschaftliche Public Viewing der Gemeinde St. Katharinen und dem ArchitekturSalon Hamburg im Katharinenfleet/Bei den Mühren 70 (Bus 6) Sa 3.7., 16.00-22.00; www.wm-im-fleet.de