Der chilenisch-mexikanische Film “La Nana - Die Perle“ ist eher Psychogramm als Sozialstudie.

Eigentlich gehört Raquel (Catalina Saavedra) dazu. Immerhin schmeißt sie schon seit mehr als 20 Jahren den Haushalt der Valdes, einer sechsköpfigen Oberschichtfamilie aus Santiago de Chile, und lebt mit ihr unter einem Dach. Doch irgendwie ist da eine unsichtbare Grenze, die nicht überschritten wird. Die Valdes mögen Raquel, brauchen sie sogar, um ihren Alltag zu meistern. Doch die Unterhaltungen mit ihr sind kurz und beschränken sich aufs Nötigste. Auch die Feier zu Raquels 41. Geburtstag fällt knapp aus. Ein kleiner Kuchen, ein paar Geschenke, die Kinder rutschen unruhig hin und her, der Vater entschuldigt sich nach einigen Augenblicken, und dann verschwindet Raquel verunsichert in ihrem Zimmer. Jedes Familienmitglied hat ein eigenes Leben, eine Identität, eine Zukunft. Nur Raquel sind enge Grenzen gesetzt, durch das Haus, ihre Arbeit, ihre Einsamkeit. Selten einmal, dass sie mit Angehörigen telefoniert.

Aus dieser Konstellation bezieht der Film des chilenischen Regisseurs Sebastian Silva, geboren 1979, sein Spannungsfeld. Die Dinge spitzen sich zu, als Signora Valdes (Claudia Celedon) Raquel entlasten will und ihr ein jüngeres Dienstmädchen zur Seite stellt. Keine gute Idee! Durch gezielte Sabotage weiß Raquel die unliebsame Konkurrenz zu verprellen und zu verjagen. Erst das dritte Mädchen, Lucy (Marian Loyola), hält stand und beantwortet Raquels Affronts mit Charme und Unkompliziertheit.

Auf den ersten Blick könnte man "La Nana" für eine soziologische Studie über Klassenunterschiede in Südamerika halten, doch Silva hatte etwas anderes im Sinn: das Porträt einer psychisch labilen Frau, deren Verhalten nicht so leicht zu erklären ist. Mit ihren wilden Augen, dem ungeordneten Haar und dem verhuschten Benehmen sieht man sofort, wie unwohl Raquel sich in ihrer Haut fühlt. Sie sieht ihre Existenz bedroht, fürchtet, nicht mehr gebraucht zu werden. Catalina Saavedra spielt sie in einer bemerkenswerten Darstellung als einfache Frau, die mit ihrer Ratlosigkeit und unterdrückten Wut nicht umgehen kann. Völlig uneitel, mit steifer Haltung und Mut zur Hässlichkeit kehrt sie das Innere ihrer Figur nach außen und lässt es sogar zu, dass sie in manchen Szenen mit ihrem verbissenen Kampf höchst unsympathisch wirkt. Silva rückt ihr mit einer mobilen Handkamera - gedreht wurde fast ausschließlich im Haus - auf die Pelle und enthüllt somit ihre Zerbrechlichkeit und Abhängigkeit. Dabei blitzt immer wieder lakonischer Humor auf. Köstlich zum Beispiel, wie Raquel fast täglich demonstrativ die Bettlaken des pubertierenden Sohnes wäscht oder ihre Konkurrentinnen ausschließt, sodass sie mühsam durchs Fenster wieder einsteigen müssen. Was für ein Biest!

++++- La Nana - Die Perle Chile/ Mexiko 2009, 96 Min., ab 6 J., R: Sebastian Silva, D: Catalina Saavedra, Claudia Celedón, Alejandro Goic

Hier läuft der Film

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