Heute erscheint Christoph von Dohnányis Biografie “Offen sein zu - hören“. Darin finden sich zwar viele warme, aber zu wenig deutliche Worte.

Hamburg. Die meisten Dirigenten-Biografien sind deutlich langweiliger, als es eines ihrer missratenen Konzerte sein kann. Weichenstellung in der Kindheit, der entweder hart erarbeitete oder überraschende Durchbruch, und ab dann liefern die jeweiligen Weihrauchschwenker nur noch Namen, Orte, Spielplan-Abarbeitungen. Jubel, Trubel, Ergriffenheit, bis am Ende die große, elegische Coda kommt.

In diese Klischee-Falle wollte Christoph von Dohnányi ganz offensichtlich nicht geraten. Der frühere Hamburger Opern-Chef aus prominentem Hause, dessen Ära als Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters mit dieser Spielzeit endet, konnte im letzten September seinen 80. Geburtstag feiern. Schon zu diesem Termin sollte ein Buch eines ehemaligen künstlerischen Weggefährten, des Dramaturgen Klaus Schulz, erscheinen. Der erste Anlauf scheiterte aus diskret verschwiegenen Gründen, im zweiten ist es vollbracht. Obwohl - so ganz dann auch wieder nicht. Denn "Offen sein zu - hören" verweigert sich dem konventionellen Strickmuster. Anstatt eine konventionelle Vita-Nacherzählung abzuliefern, hat Schulz einen Zettelkasten durchkomponiert. In dem finden sich grundsätzlich gehaltene Gespräche mit dem Maestro, die seit Juli 2008 geführt wurden, umrankt mit freundlichen Gastbeiträgen von Freunden und Verwandten.

Viele Facetten, die ein Gesamtbild ergeben sollen. Dass dafür neben Würdigung auch Wertung nötig gewesen wäre, ist ein Manko, das umso betrüblicher ist, da ausgerechnet dieser Künstler nie dafür bekannt war, im passenden Moment ein beschönigendes Blatt vor den Mund nehmen zu wollen. Gerade vor Kurzem erst soll es im Vorfeld seines Beethoven-Zyklus mit den NDR-Sinfonikern zu reichlich unverblümten Aussprachen über Mittel und Wege zum Erfolg gekommen sein. Hört man, aus der Gerüchteküche. Aber eben nur indirekt.

Direkt äußert sich Dohnányi in diesem Buch vor allem zu Grundsätzlichem und Losgelöstem. Er philosophiert mit der abgeklärten Erfahrung einer jahrzehntelangen Weltkarriere über Tempi und Notationen, über Handwerkliches und Orchestermusiker. Ein Kapitel heißt, typisch für das Selbstverständnis, "Musik ist Arbeit".

Familiäres , Privates, gar Problematisches findet nur in kleinen Dosen statt. Man muss schon zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, was man nicht zu lesen bekommt. Kaum etwas über die berüchtigten Querelen zwischen Dohnányi und dem Philharmonischen Staatsorchester während seiner Amtszeit an der Dammtorstraße beispielsweise. Auch die ehemalige Ehefrau, die Sopranistin Anja Silja, hält Abstand zu jeder Art von Schmutzwäsche.

Dafür werden die Karriere-Stationen ordnungsgemäß abgelaufen. Lübeck, Frankfurt, Köln, Cleveland vor allem und London, später zurück nach Hamburg. Alles schön und gut, alles aber auch ein bisschen blass. Dohnányis damaliger Referent Peter Katona beschränkt sich zum Hamburger Musiktheater unkommentiert auf spröde Ausweichmanöver wie "In Hamburg entstanden Spannungen ganz besonders durch das sehr eigenwillige Orchester, das sich in sein Verständnis von Autonomie nicht hineinreden lassen wollte." Das Gespräch mit dem Hauptdarsteller selbst zu dieser Zeit reicht gerade mal über zwei Seiten und ist, man kann es nicht anders sagen, von ausgesuchter Blutarmut. So viel Höflichkeit mag als Zier gemeint sein, das Ziel einer kritisch-würdigenden Biografie ist damit verfehlt. Als nachträgliches Geburtstagsgeschenk ist Schulz' Dirigenten-Festschrift bestens gelungen.

Klaus Schulz (Hg.) "Offen sein zu - hören", 281 S., Murmann Verlag. 36 Euro