Einfach traumhaft: Die Nijinsky-Gala in der Staatsoper zum Abschluss der 36. Hamburger Ballett-Tage bot Glanzlichter und erntete Jubel.

Hamburg. Da sage noch einer, eingefleischte Ballettomanen als Liebhaber dieser filigran zelebrierten Kunst hätten keinen Sinn für das eher robuste Gewerbe des Fußballspielens! Euphorie herrschte unter ihnen, als Deutschland beim Weltmeisterschaftsspiel um den Einzug ins Viertelfinale die Engländer nach Hause schickte. Es waren nämlich - auch - Ballettanhänger, die auf den Straßen nahe der Staatsoper in Trauben vor den Fernsehern mitfieberten, viele von ihnen trugen das Programmbuch der 36. nahezu ausverkauften Hamburger Ballett-Tage unter dem Arm und waren auf dem Weg zur abschließenden Nijinsky-Gala.

Besser hätte die Dramaturgie an diesem Abend nicht laufen können. Hatte die Ballartistik bis zum Abpfiff ganz klar ungeteilte Begeisterung, schwappte die wie von selbst in eine Jubelstimmung gegenüber den Ballettartisten über. Zwei an sich nicht kompatible Welten hatten ihre Abgrenzung fließend überwunden und das Motto "Fließende Welten", mit dem John Neumeier die gesamte Spielzeit und die abschließende Gala überschrieben hatte, wurde um eine ungeahnte Variante erweitert.

Mit knapp sechs Stunden Dauer, einschließlich zweier Pausen, einer Applausendlosschleife und Konfettiregen, war diese wie immer von John Neumeier moderierte Gala eine der längsten in seiner 37-jährigen Amtszeit als Chef des Hamburg Balletts. Und es war eine der stringentesten, tänzerisch auch anregendsten.

Dass John Neumeier den zweiten Teil der dreiteiligen Gala einem einzigen Werk, seiner Choreografie "Verklungene Feste", auf Musik von Richard Strauss gewidmet hatte, war inhaltlich verständlich. Es geht um eine in Auflösung begriffene Gesellschaft. Doch dramaturgisch erwies sich das Stück als sich verflüssigende, retardierende Masse innerhalb einer Reihe von Tanzperlen, in denen die fließende Anverwandlung von Orient und Okzident thematisiert wird.

Auch darum ging es in der Gala: um das Ansinnen europäischer Ballettschöpfer, exotische Welten in ihre Werke einfließen zu lassen. Zum Beispiel in Vladimir Malakhovs Pas de trois aus "La Péri", der so hinreißend und stilistisch lupenrein von Tänzern des Staatsballetts Berlin (Shoko Nakamura, Elena Pris, Mikhail Kaniskin) getanzt wurde, das ihnen ähnlicher Jubel zugestanden hätte wie den nachfolgenden Pas de deux aus "La Bayadère" und "Thais", in denen Erste Solisten des Hamburg Balletts - Carolina Aguero, Alexandre Riabko, Hélène Bouchet und Thiago Bordin - brillierten.

Auch Patricia Tichy, Solistin der hiesigen Compagnie, tanzt ausgezeichnet, doch die brodelnde innere Kraft einer frustrierten Frau glaubte man ihr nicht in Neumeiers Choreografie "Josephs Legende". Absolut rollendeckend dagegen Silvia Azzoni und Carsten Jung in "Die kleine Meerjungfrau", ebenfalls von Neumeier.

Im Ballettknaller "Le Corsaire" zeigten die blutjungen Solisten des St. Petersburger Mariinsky-Theaters, Alina Somova und Vladimir Shklyarov, eine fantastisch elegante Technik. Doch fehlt ihnen noch jene Prise frechen Wagemuts, der diesen Pas de deux vom Feuerwerk zum atemberaubenden Wunderwerk erhebt.

Genau das aber schafften Mizuka Ueno und Kazuo Kimura vom Tokyo Ballet in Maurice Béjarts Pas de deux aus "Bhakti III" auf traditionelle indische Musik. Als erotisch zeremonieller Traumtanz, der dem Paarungstanz von Insekten gleicht, sind die beiden umwerfend. Und auch der charismatische Startänzer vom Ballet de L'Opéra de Paris, Jérémie Bélingard, zeigt in seiner eigenen, minimalistischen Tanzschöpfung "My heart is a lonely hunter", einer Hommage für den japanischen Choreografen Sabura Teshigawara, jene Qualität, die das Besondere in etwas Unvergleichliches erhebt.

Dass Jiri Bubeniceks Choreografie "Canon in D Major" enthusiastisch gefeiert wurde, war einmal dem Umstand zu verdanken, dass der nach Dresden abgewanderte Tänzer hier endlich wieder zu sehen war. Es war aber auch der Choreografie geschuldet, die in weichem, harmonisch fließenden Gleichklang der drei Tänzer - Jiri und Otto Bubenicek und Alexandre Riabko - eine eigene Handschrift erkennen lässt.

Am erstaunlichsten und überraschendsten aber waren die erstmaligen Auftritte von Tänzern des National Ballet of China in Peking. Dass sie in klassischer Balletttechnik perfekt sein würden, war zu erwarten, dass sie aber diese Technik so innig mit chinesischer Tradition verbinden und Seele zeigen würden, nicht. Um das Beispiel vom "Pavillon der Päonien" zu nehmen: Zhu Yan und Hao Bin lassen untereinander eine innere, nie ablassende Verbindung und intensive Zugewandtheit spüren, die ihren Tanz kostbar macht. Sie sind eine Entdeckung.

Der traditionelle Konfettiregen beendete diese Gala, die weitere Werke aus dem Repertoire des Hamburg Balletts enthielt und wieder einmal bewies, dass Hamburgs Tänzer spitze sind und dass die Philharmoniker dem Dirigenten Simon Hewett buchstäblich aus der Hand fressen.