Charlotte Gainsbourg versteckte sich bei ihrem Hamburg-Konzert mit Methode, verneigte sich aber gegen Ende noch vor ihrem berühmten Vater.

Hamburg. Noch herrscht Ruhe auf der Bühne des Schauspielhauses. Die Ruhe des gespannten Wartens, die Ungewissheit des Kommenden. 600 Gäste haben sich durch die hupenden Autokolonnen an der Kirchenallee gequält, sichtlich genervt von Vuvuzelas und Megafonen. Jetzt sitzen sie schwitzend auf Plüsch, Nebel steigt hoch und setzt sich auf den Staubfäden an der Decke des Saals ab. Sie erwarten den wahren historischen Moment an diesem Sonntag: den ersten Auftritt von Charlotte Gainsbourg in Deutschland.

Im Laufe der vergangenen 38 Jahre war die französische Schauspielerin und Sängerin stets ein Elementarteilchen, dessen große Anziehungskraft ihrer Herkunft geschuldet war. Ihr 1991 gestorbener Vater Serge Gainsbourg und Mutter Jane Birkin sind Ikonen der gehobenen Popkultur, Tochter Charlotte schon als Teenager Mittelpunkt einer aufgeregten Öffentlichkeit. Das gemeinsame Lied "Lemon Incest" und der Film "Charlotte For Ever" wurden Skandale, die Charlotte Gainsbourg bis heute begleiten. Verfolgen.

Musikalisch folgt das Kind berühmter Eltern nicht dem Chanson-Erbe

So wundert es nicht, dass die vielseitige Künstlerin, als Schauspielerin längst etabliert und mehrfach ausgezeichnet (zuletzt gab es 2009 eine Silberne Palme in Cannes für ihre Rolle in "Antichrist" ), musikalisch anderen Spuren folgt als denen des Chanson-Erbes. Auf ihren Alben "5:55" (2006) und "IRM" (2009) komponierten und arrangierten Jarvis Cocker, Air und Beck Hansen Lieder als Hülle, in die Gainsbourg schlüpfte wie in eine Rolle. Sowohl den filigranen Werken der französischen Pop-Ästheten Air wie den kruden Querdenker-Werken von Beck drückte sie einen Stempel auf, der live eher als Wasserzeichen im Gegenlicht zu erkennen ist.

Charlotte Gainsbourg flüstert eher, als dass sie singt

"IRM", der Titelsong ihres aktuellen Albums, stolziert geradezu in den halb gefüllten Saal mit mächtigen Rhythmen und in die Tiefe des Raumes stoßenden Gitarren der fünfköpfigen Band. Gainsbourg aber ist nur zu erahnen. Streng wird ihre zierliche, bewegungslose Gestalt von hinten beleuchtet, sie flüstert eher, als dass sie singt. Vor allem bei "Time Of The Assassins" scheint es, als läge zwischen ihr und ihren Musikern ein Meer der Stille oder die dicken Wände jener "IRM"-Tomografie-Röhre, in der sie nach ihrem Wasserski-Unfall 2007 immer wieder ausharren musste.

Auch in den folgenden Songs braucht man schon Röntgenblick und gutes Gehör, um Gainsbourg zu erahnen. Ein Zuhörkonzert, das Konzentration erfordert. Das hat Methode, kaum tritt Gainsbourg für ein kurzes "Dankeschön" aus dem Schlagschatten, da zieht sie sich wieder in ihre Lieder zurück. Das Publikum folgt ihr, jedes Funkeln ihrer besonderen Ausstrahlung begierig erhaschend wie einen Sonnenstrahl im Nebel. Lautere Töne und LED-Lichteffekte kommen mit "Set Yourself On Fire" beinahe überfallartig daher, auch weil Gainsbourg ausbricht, im Post-Disco-Beat trommelt, ihre Bewegungen aber dennoch geisterhaft wie in einem Daumenkino wirken.

Großen Applaus gibt es, als sie ankündigt, sich beim besten Repertoire zu bedienen, das es für sie gibt - das ihres Vaters. Die Verbeugung "L'Hotel Particulier" ist noch angedeutet, aber zum fröhlichen Finale "Couleur Café" lebt die klassische französische Lässigkeit auf. Ein Klischee, dem sich Charlotte Gainsbourg sonst verweigert - das macht dieses Lied zum Geschenk.