Erneut wurde das Tokyo Ballet in der Staatsoper im Rahmen der 36. Hamburger Ballett-Tage mit Choreografien von Maurice Béjart gefeiert.

Hamburg. Die Tänzer des Tokyo Ballet sind in Hamburg bereits so etwas wie gute Bekannte. Schon zweimal sind sie zuvor in der Staatsoper aufgetreten, bevor sie jetzt im Rahmen der 36. Hamburger Ballett-Tage bei ihrem dritten Gastspiel, wieder mit Choreografien von Maurice Béjart, erneut begeistert gefeiert wurden.

Ein riesiges Blumengesteck aus verschiedenfarbenen Päonien war der Dank für die überragenden tänzerischen Leistungen dieser zahlenmäßig deutlich größeren Compagnie, als sie das Hamburg Ballett John Neumeiers vorweisen kann. Das Tokyo Ballet, gegründet 1964, kann mit der ersten Riege internationaler Tanzensembles mithalten. Den Beweis lieferten sie auch jetzt in der Staatsoper.

Bereits 1988 hatte das Tokyo Ballet mit "The Kabuki Suite", dem Signaturstück Béjarts für die Japaner, in Hamburg Furore gemacht. Wenngleich man damals gegenüber einem Ensemble, das ausschließlich aus Japanern besteht, etwas fremdelte. Auch rätselten sich viele durch die exotisch anmutende, symbolbeladene, historisch überlieferte Samurai-Geschichte - auf sie beruft sich Béjart -, die zwar in der Tradition des uralten Kabuki-Theaters erzählt wird, doch deutlich durchsetzt ist mit Elementen des klassischen Balletts.

Jetzt also eine Wiederbegegnung mit diesem Werk, das Béjart als genialen Männer-Choreografen ausweist. Immer noch. Die Schluss-Szenen mit den 47 Samurais, die in atemberaubender Präzision die tanzstrategisch ausgeklügelten Formationen eines Kampfes symbolisieren, bis hin zum kollektiven Selbstmord, gehören nach wie vor zum Besten, was die Tanzwelt für Männer zu bieten hat.

Die Energie, der soghaft mitreißende Strom einer äußerst disziplinierten Kriegermeute, macht buchstäblich atemlos durch ihre kraftvolle Schönheit.

Mag für manchen Betrachter auch die an No- und Kabuki-Theater orientierte Mimik und Gestik der Tänzer nicht den Vorstellungen individueller und ausdrucksstarker Persönlichkeiten entsprechen, wie sie Neumeier in seiner Compagnie pflegt, zeigen sich hier, obwohl sie ganz dem Geiste der japanischen Tradition verpflichtet sind, durchaus eigenwillige Tänzer. Und das nicht nur in den Passagen, in denen Béjart ausdrücklich das Vokabular klassischen Balletts bemüht.

Beispielsweise, wenn er Solisten wie in den Divertissements der großen klassischen Ballette brillieren lässt oder bei dem jungen Mann (Haruo Goto), der, groß gewachsen und elegant, nicht nur prädestiniert ist für Prinzenrollen, sondern für die gesamte Spanne heutigen Tanzes.

Diesen jungen Mann, Yuranosuke, sehen wir in einem Prolog in einer Halle, in der Jugendliche aus dem heutigen Tokio nach Heavy Metal tanzen. Aus der Hand einer geheimnisvoll schwarz gewandeten Frau empfängt er ein Schwert, das ihn in Träumereien versetzt. Der moderne Mann verwandelt sich in einen traditionell gekleideten Samurai als Anführer von 47 Ronins, die schwören, den Tod eines Fürsten zu rächen.

Es ist eine Geschichte, die von Liebe und Treue, Intrigen, Mord und Metzelei, von Ritterehre, Devotion und Grausamkeit erzählt. Selbst wenn wir nicht alles verstehen - ein japanischer Erzähler führt wie im Kabuki-Theater durch das Epos -, können wir folgen, zumal eine "lustige Person" in den Umbaupausen mit deutlicher Gestik und Charaktertanz das Geschehen verdeutlicht. Auch die Musik von Toshiro Mayuzumi trägt im besten dramatischen Sinne die Handlung, indem sie raffiniert moderne Klänge und originale Kabuki-Musik miteinander verwebt und die Welten zwischen Althergebrachtem und Neuem verbindet.

Hinreißend sind die Hofdamen in ihren prachtvollen Kimonos und vor allem die verwitwete Fürstin Kaoyo. Mika Yoshioka tanzt sie mit porzellanpuppenhafter Zartheit und Scheu, auf der einen Seite das alte Japan verkörpernd, auf der anderen als technisch perfekte Ballerina mit hohen Beinen.

Ein derart großer Wurf ist "Bugaku", das der 2007 verstorbene Maurice Béjart 1989 in überarbeiteter Form dem Tokyo Ballet widmete, nicht. Es ist eher ein Tanzritual als Einstimmung auf "Kabuki", ein gedanklicher Wegweiser als geistiges Fundament, in dem sich ebenfalls das alte und das neue Japan verbinden. American-Football-Spieler treffen auf paradiesisch anmutende Paare mit einer überirdisch schönen Frau als Bindeglied.

Anmutig und martialisch ist das, herrlich getanzt, aber eben nicht mehr.