Bei der Über-Avantgarde-Band Sonic Youth hielt Ranaldo die Gitarre. Seit 1987 bringt er famose Solowerke heraus.

Hamburg. Ein großer Sänger war er nie. Deswegen hielt Lee Ranaldo bei der Über-Avantgarde-Band Sonic Youth auch immer nur die Gitarre. Darin aber war er über mehr als drei Jahrzehnte absolut stilprägend. Immerhin listet der "Rolling Stone" ihn auf Platz 33 der größten Gitarristen aller Zeiten. Nun wird er zum Tröster all jener, die noch immer fassungslos auf das offizielle Aus der legendären New Yorker Noise-Rock-Band starren, deren Ex-Traumpaar Kim Gordon und Thurston Moore sich nun wohl endgültig entzweit hat.

Es gibt auch hier das Gute im Schlechten. Ranaldo erhält jetzt die Aufmerksamkeit, die ihm schon lange gebührt, immerhin bringt er seit 1987 regelmäßig Solowerke heraus. Die Schockstarre seiner Kollegen hat er nun für einen weiteren famosen Alleingang genutzt. "Between The Times And The Tides" ist ein viel beachteter Glanzpunkt. Etliche schwerelose Songs sind Lee Ranaldo geglückt. "Off The Wall" schwingt sich auf zu einer herrlich offensiven Fröhlichkeit. Das siebenminütige "Xtina A I Knew Her" huldigt der Liebe aufs Elegischste mit schönen Soloparts über sehnsuchtsvollen Melodien. Anleihen aus dem Repertoire des Americana zitiert "Fire Islands (Phases)". Ranaldo singt davon, im perfekten Gefängnis verloren zu sein ("Lost") und sich eines Morgens im eigenen Leben wie in einem falschen Film zu fühlen ("Tomorrow Never Comes"). Man spürt die Anstrengung, die in den Klängen steckt, nicht. Keine Minute verfällt Ranaldo in eine Altherrenmanier, die man dem Mittfünfziger vielleicht andichten würde. Seinen milden Gesang umweht noch immer der raue Geist des Rock 'n' Roll.

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"In früheren Jahren habe ich die Zeit außerhalb von Sonic Youth eigentlich immer für Erkundungen jenseits des Songformats genutzt", sagt Lee Ranaldo. "Aber dadurch, dass die Zeit zwischen unseren Platten immer länger wurde, hatte ich plötzlich gar keine Möglichkeit mehr, an strukturierteren Stücken zu arbeiten, und ich merkte irgendwann, dass mir etwas fehlte." Diese individuelle Struktur ist es, die seine Songs auszeichnet.

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Der Mann ist natürlich auch live ein Ereignis. Und weil Sonic Youth schon immer der schöpferische Nebel der Kunst umgab, ist er im Westwerk bestens aufgehoben. Für seinen Auftritt am 2. Juli bringt Ranaldo die Disappears mit. Eine Allstar-Truppe befreundeter Musiker, darunter Nels Cline (Wilco) an der Leadgitarre, Steve Shelly (Sonic Youth) an den Drums, Noise-Gitarrist und Komponist Alan Licht sowie Jazz-Ikone John Medeski.

+++ Erst Kellnerin, dann Popstar +++

+++ Tarnen und täuschen +++

Die Platte klingt nicht nach Sonic Youth, was vor allem der Beitrag des Keyboarders und Organisten Medeski verhindert. Mit jedem Song hält Ranaldo Rückschau auf seine Jugend auf Long Island. Verbeugt sich vor verehrten Songwritern wie Bob Dylan, Joni Mitchell, David Crosby, Neil Young oder Grateful Dead in ihrer akustischen Phase. Erst später, umgesiedelt nach New York, entflammte Ranaldo für den Punk, alle Arten von Noise und die Avantgarde.

Für einen Gastauftritt schauen Sonic-Youth-Drummer Bob Bert und Jim O'Rourke vorbei. Was von Sonic Youth übrig blieb, klingt, als könnte es die Zeiten überdauern. Es wird den Schmerz nicht ausmerzen, aber doch lindern.

Lee Ranaldo & Disappears Mo 2.7., 20.00, Westwerk (U Rödingsmarkt), Admiralitätstraße 74, Karten zu 28,50 im Vvk.; www.leeranaldo.com