Neneh Cherrys neues Album “The Cherry Thing“ besitzt Tiefe und Seele

Neben dem Strichcode steht als Genrebezeichnung für Neneh Cherrys aktuelles Album "The Cherry Thing" das Wort Soul. Doch mit Soulmusik hat die neue Platte der 48 Jahre alten Sängerin nichts zu tun. Mehr mit dem Free Jazz der 60er-Jahre, in dem ihr Vater Don eine wesentliche Rolle innerhalb der Band des Saxofonisten Ornette Coleman spielte. Coleman trat 1960 mit dem Album "Free Jazz" eine Revolution los, Neneh Cherry und ihre Mitstreiter besinnen sich auf diese Zeit der Befreiung von musikalischen und gesellschaftlichen Fesseln. Cherry ist auf die drei schwedischen Musiker von The Thing gestoßen, weil diese große Fans von Coleman und Cherry sind und sie selbst nichts von musikalischen Grenzen hält. "The Cherry Thing" ist Milchstraßensysteme entfernt etwa von "7 Seconds", jener Erfolgsballade mit Youssou N'Dour, die immer noch im Formatradio gedudelt wird.

Die acht Kompositionen von "The Cherry Thing" wird man wohl nur im Nachtprogramm einer Kulturwelle hören können, so radikal sind die Klänge des Quartetts. Mats Gustafsson lässt sein Saxofon brüllen und kreischen, Schlagzeuger Paal Nilssen-Love prügelt auf Trommeln und Becken, nur Bassist Ingebrigt H. Flaten bringt melodische Elemente in die Musik, etwa im Zwiegespräch zwischen seinem Instrument und Cherrys Stimme in "Accordion", einem Song des Rappers MC Doom.

Die Band um die in Schweden geborene Sängerin interpretiert auch je eine Komposition von Don Cherry und von Ornette Coleman, aber sie bedient sich auch bei Rock und New Wave. Bei "Dirt", im Original von The Stooges, wird die enge Verbindung zwischen frühem Punk, Blues und Free Jazz deutlich, "Dream Baby Dream" vom New Yorker Duo Suicide bekommt auf "The Cherry Thing" eine atemberaubende Intensität, die über das minimalistische Original weit hinausgeht. Dieses Album scheint in seiner Wildheit völlig aus der Zeit gefallen zu sein. Doch es besitzt Tiefe und Seele - wenn auch nicht im Sinne tanzbarer Soulmusik.

Neneh Cherry & The Thing: "The Cherry Thing" (Smalltown Supersound)