Den Silberschmied Wilfried Moll und die Schmuckkünstlerin Jasmin Winter trennen 40 Jahre. Und einige Anschauungen über Kunst und Arbeit

Hamburg. Wilfried Moll, 71, gilt als einer der besten Silberschmiede seiner Generation. Er wurde unter anderem mit dem Karl-Gustav-Hansen-Preis in Dänemark ausgezeichnet, seine Arbeiten stehen in den wichtigen Sammlungen für angewandte Kunst, und er ist erfolgreich als Gestalter für die serielle Fertigung, vor allem durch seine Besteckentwürfe für die Silbermanufaktur Robbe & Berking. Jasmin Winter, 31, wurde an der Hochschule in Hildesheim zur Diplomdesignerin ausgebildet. In kurzer Zeit hat sie sich als Schmuckkünstlerin einen Namen gemacht, sie ist mit ihren großen Ketten in internationalen Ausstellungen und Katalogen zum zeitgenössischen Schmuck vertreten. Im Generationengespräch streiten die beiden über Tradition und Innovation, über Wertmaßstäbe, künstlerische und handwerkliche Ansprüche.

Hamburger Abendblatt: Wie wichtig war in Ihrer Entwicklung Handwerkliches, wie stark war die gestalterische Ambition?

Jasmin Winter: Ich wollte studieren, weil es mir mehr Möglichkeiten als eine Lehre eröffnete, nämlich das plastische und experimentelle Gestalten mit sehr verschiedenen Werkstoffen. Ich bin nicht von vornherein davon ausgegangen, dass es bei mir auf Schmuck hinausläuft. Ich wusste nur, dass es um Metallgestaltung gehen sollte.
Wilfried Moll: Die Lehre hat mich fit gemacht, sinnliches Gespür für das Material, manuelle Fähigkeiten auszubilden, das virtuose Arbeiten, ohne groß darüber nachzudenken. Wird das Handwerkliche beherrscht, gibt es keine Barrieren mehr.
Winter: Das Handwerkliche kann aber auch einschränken. Es ist wichtig, einen eigenen Stil zu entwickeln. Erst kommt die Idee, und wenn ich weiß, was ich machen möchte, überlege ich mir die technische Umsetzung.
Moll: Freiheit verstehe ich grundsätzlich anders. Die Japaner haben einen Begriff von Kreativität, der mir sehr entspricht: Man versetzt sich in einen Zustand der unendlichen Bereitschaft, der Leere, und dann staunst du nur noch. Heute wird dagegen die intellektuelle Leistung als wesentlich für die Kreativität angesehen. Ich finde dagegen, dass Innovation dort entsteht, wo man sie nicht unbedingt vermutet. Man macht etwas, und es wird besser.
Winter: Das geht mir nicht anders.
Moll: Mich stört aber, dass gegenwärtig das Absichtsvolle stärker geworden ist, das Sich-Finden. Nehmen wir die kleine Präsentation der Rietveld Academie Amsterdam auf der Hamburger Jahresmesse für Kunst und Handwerk 2011. Diese Avantgarde der Gestaltung zeigte für mein Empfinden zu viel Absicht, aber zu wenig formale Gestaltung.
Winter: Ich fand die Arbeiten toll. Zum Glück ist Gestaltung offener geworden.
Moll: Mir scheint es, als sei nicht die Sache an sich wichtig, sondern die Idee, die Konzeption, der Kunstanspruch.
Winter: Es ist alles wichtig, die Sache, die Idee, die Konzeption und der Kunstanspruch. Mein Ansatz ist es, kein Kunsthandwerk zu machen, sondern Schmuckkunst.
Moll: Ich finde, dass das ein problematischer Weg ist. Nehmen Sie die Jahresmesse im Museum für Kunst und Handwerk. Sie hat sich seit den Zeiten von Justus Brinckmann auf das norddeutsche Kunsthandwerk konzentriert und stand immer für einen hohen Qualitätsanspruch. Heute geht es vorrangig um Innovationen von Jahr zu Jahr, das hat etwas von der In-und-Out-Mentalität der Konsumgesellschaft. Mir fehlen dabei die bleibenden Wertmaßstäbe.
Winter: Qualität ist mir auch wichtig! Aber ich will im Museum auch Zeitgenössisches sehen, was mich inspiriert. Nicht alles im künstlerisch-gestalterischen Bereich muss für die Ewigkeit sein. Außerdem finde ich, dass es der Hamburger Messe guttut, wenn sie sich öffnet - inhaltlich und international.
Moll : Die Jahresmesse war immer aufgeschlossen, inhaltlich und international. Gäste waren stets willkommen. Es gibt doch ganze Museen voll mit herausragenden Beispielen, mit Kunstwerken, die durch die Zeiten hindurchgehen und inspirierend wirken. Entscheidend ist, dass sie eine Qualität haben.
Winter: Bei meinem Schmuck habe ich zwei Ansprüche an mich selbst: Meine Ketten sollten Objekte sein, die für sich, wie eine Plastik, bestehen könnten. Doch ich sehe die Stücke auch in Verbindung mit ihren Nutzern als öffentliche Objekte. Sie sollen nicht nur schmücken, sondern auch provozieren und polarisieren. Der Träger muss Lust haben, das zu kommunizieren während er sich schmückt. Ich finde es spannend, wie andere, nicht nur museal vorgebildete Menschen, darauf reagieren.
Moll: Überfrachten Sie Ihre Arbeit dabei nicht mit Anspruch. Wenn ich Tafelsilber fertige, will ich, dass die Stücke sich nicht so wichtig machen. Der Mensch gegenüber ist wichtiger.

Wie aufwendig sind Ihre Unikate?

Winter: Einmal abgesehen von den kleineren, leichter verkäuflichen Arbeiten, schaffe ich im Jahr nicht mehr als zehn Ketten. Das Regulativ sind die Hände. Wenn es gut läuft, arbeite ich auch schon mal 14 Stunden am Tag - dann liegt die Isomatte unter dem Werktisch. Aber es gibt auch Tage, an denen man ausschließlich am Konzept arbeitet.
Moll: Das Arbeitsethos ist uns gemeinsam. 200 Stunden für eine Kanne sind nicht ungewöhnlich. Es kommt oft vor, dass ich mit einem Stück nicht vorankomme und es wegstelle. Eigentlich arbeite ich immer an mehreren Stücken gleichzeitig.
Winter: Das mache ich auch so. Wenn man die Arbeit an einem Stück, das liegen geblieben ist, später wieder aufnimmt, ist der Blick geschärfter und zielgerichteter.
Moll: Da sind wir wieder ganz beieinander - Sie ein bisschen absichtsvoller, ich absichtsloser.
Winter: Das sehe ich genau umgekehrt!

Was ist für Sie Glück bei der Arbeit?

Moll: Ich kann mich noch lange an einem fertigen Stück erfreuen. Aber auch im Rhythmus der Arbeit liegt Glück, ein Gefühl des Gelingens. Dann bin ich beispielsweise beim Hämmern mit mir im Einklang.
Winter: Ja, auch der Prozess kann erfreuen. Das kann beim Emaillieren sein, wenn sich die Komponenten verbinden. Und natürlich auch, wenn man seine Stücke mit Abstand, quasi mit fremden Augen betrachtet und man noch immer sehr zufrieden mit ihnen ist.

Haben Sie in Ihrer Arbeit das erreicht, was Sie sich erhofft haben?

Winter: Ich weiß, dass ich noch nicht angekommen bin.
Moll: Ich hoffe, dass ich meine beste Kanne noch nicht gemacht habe.