Der im Exil lebende Schriftsteller und Menschenrechtler Liao Yiwu erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Hamburg. Ein bisschen ist Liao Yiwu, der im Herbst den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen soll, auch Hamburger. Denn hier hatte er, eingeladen vom Harbour Front Literaturfestival, vom Hamburger Abendblatt und von Human Rights Watch, seine erste Lesung im Westen, nachdem ihn China im Herbst 2010 erstmals ausreisen ließ - nach Jahren der Drangsalierung. Und in der Buchhandlung Felix Jud las er 2011, nachdem er ins Exil gegangen war. Keiner, der ihn dort hörte, wird vergessen, wie er mit seinen eindringlichen, fast tierisch klagenden Gesängen zum Ton einer Klangschale berichtete von den Stürmen in seiner zerrissenen Seele.

Der Mann mit dem mönchisch kahlen Schädel hat sich in den Augen der chinesischen Machthaber vor allem eines zuschulden kommen lassen: Er schreibt auf, was ist - hinter den glitzernden Fassaden und hinter den schönen Worten der chinesischen Verfassung, die Meinungsfreiheit garantiert. Mehrfach haben sie seine Manuskripte gestohlen. Er hat sie unbeirrbar neu geschrieben, hat Wege gefunden, im Ausland zu publizieren. In Amerika, in Deutschland. Er wird gelesen.

Es sind keine Bücher für schwache Nerven. Nicht die Erzählungen über die Menschen, die in Chinas Gesellschaft ganz unten stehen, in "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser". Auch nicht "Für ein Lied und hundert Lieder", das die Zustände in Gefängnissen und Arbeitslagern schildert, wo er vier Jahre inhaftiert war, weil er ein kritisches Gedicht über das Massaker am Tiananmen-Platz im Juni 1989 verfasst hatte (beide Bücher bei S. Fischer).

Liao schildert die tiefsten Höllen, die Menschen ihren Mitmenschen bereiten können. In einer gewaltigen, einer brutalen Sprache, die sich einbrennt.

Dabei hat er eine sensible, verletzliche Seele. Sein Widerstand mit Worten hatte es für ihn einsam werden lassen in China. Die Dauerüberwachung und das von Drohungen begleitete "Teetrinken" mit den Staatsschützern haben ihn mürbe gemacht. Zerbrochen ist er nicht, obwohl er im Gefängnis zwei Selbstmordversuche unternahm.

Liao hat im Juli 2011 sein Heimatland verlassen, seine Bücher sind dort verboten, selbst Lesungen im Ausland hat man ihm verbieten wollen. Er ist nicht gern gekommen; ein Leben im Exil, in fremden Sprachen, abgeschnitten von allem, was sein Leben bis dahin ausmachte, ist kein Zuckerschlecken. Auch jetzt trägt er die Verantwortung, Stimme der Freiheit zu sein. Ihn treibt immer wieder die Sorge um seinen Freund Liu Xiaobo um. Liu war Ende 2009 zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er die Charta 08, das Manifest der chinesischen Bürgerrechtler, mitverfasst hat. Er bekam Ende 2010 den Friedensnobelpreis, durfte nicht zur Verleihung, und hat acht Jahre Haft noch vor sich.

Liao sorgt sich aber auch um die vielen Namenlosen, die nicht im Westen bekannt sind. Der Friedenspreis wird am 4. Oktober verliehen. Für Oktober hat S. Fischer auch Liaos neues Buch angekündigt: "Die Kugel und das Opium - Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens". Der Autor hat dafür über mehrere Jahre heimlich Gespräche mit Augenzeugen und Angehörigen der Opfer des Massakers geführt. Damit sie nicht vergessen werden.